Ein Film in 4 Teilen von Andreas Christoph Schmidt, produziert von Schmidt & Paetzel Fernsehfilme im Auftrag von SWR und SFB.

Folge 2 - Dutschke und Konsorten

"Sagen Sie, Rudi Dutschke, fühlen Sie sich eigentlich bedroht?"
"Und haben Sie nicht manchmal Angst, daß Ihnen einer über'n Kopf schlägt?"

Zwei Jura-Studenten auf dem Weg zum Seminar. Berlin, Sommer 1967. So nett, wie es aussieht, so war es auch.
Vorlesung bei einem bekannten Staatsrechtler mit großer Zukunft. Überfüllte Hörsäle kannte man damals nicht. Alle hatten eine große Zukunft. Damals noch.
Besondere Unruhe? Wird schon nicht so wild gewesen sein. Jedenfalls nicht bei den Juristen, woanders schon.

Studenten
Siegward Lönnendonker
Siegward Lönnendonker
"Wir haben damals eine Revolte gemacht, auch nicht zuletzt wegen den schlechten Studienbedingungen. Wenn man die heute sieht, also jeder würde sagen: Nein, das Paradies, wunderbar. Und heute ist es viel, viel, viel schlimmer, als wir es hatten; Damals war es gut."
"Wer hat denn revoltiert? Wir waren doch alle Leute, wenn wir von der Uni kamen, waren wir ziemlich sicher, einen Beruf ausüben zu können, da gab's keine Arbeitslosigkeit, keine Akademikerarbeitslosigkeit. Man konnte auch an der Uni bleiben, wenn man wollte, wenn man wollte."

Im Haus des AStA, Allgemeiner Studentenausschuß der Freien Universität Berlin. Vielleicht war dies der Ort, wo man zuerst begriff, daß am 2. Juni 67, Schah-Demo, Tod des Studenten Benno Ohnesorg, etwas geschehen war, das nicht nur die Universität, sondern das ganze Land verändern würde.
Hier wurde ermittelt, nach Schuldigen gesucht, Beweise gesichert. Und die Verdächtigen hatten Uniformen an.

Lönnendonker: "Die Polizisten, mit Verlaub, haben gelogen, daß sich die Balken bogen. Einfach so! Und ein Fall ist dann auch gewesen, daß zwei behauptet haben, Fritz Teufel hätte den und den Stein geschmissen. Hätten sie selber gesehen, bis dann, durch diesen studentischen Untersuchungsausschuß, wo Amateure, Studenten, auch Presseleute ihre Fotos, die sie gemacht hatten, abgegeben haben, und dazu erzählt hatten, wann und wo das war, dann konnte bewiesen werden, daß zu dem Zeitpunkt, Fritz Teufel ganz woanders war. Man konnte beweisen, daß die gelogen hatten. Die sind nicht zur Rechenschaft gezogen worden, natürlich." SDS Untersuchungsausschuss
Perser prügeln
"Die folgende Filmsequenz zeigt die hinter den Barrieren stehenden Demonstranten und, in die Ankunft des Schahs eingeschnitten, die winkenden Perser."

Vorführung eines Films über den 2. Juni 67 für die, die nicht dabei gewesen waren.

Männer aus Persien, Gefolgsleute des Schahs, schlagen auf Demonstranten ein, und auch auf Schaulustige, die einfach nur gern einen Blick auf Farah Dibah geworfen hätten. Die damals so eine Art Lady Diana war.
Welches Recht gilt in Deutschland?
Fremde Männer - wie soll man sie nennen - Agenten, Söldner, prügeln drauflos. Und die Polizei?

Die Polizei. Am Abend erschießt ein Polizist den Studenten Benno Ohnesorg. Der niemanden angegriffen oder bedroht hatte. "Nicht schießen!" - soll er noch gerufen haben.

Bernd Rabehl
Bernd Rabehl
"Ein Zweifler, der nicht glaubte, daß in Berlin Demonstrationen auseinandergeprügelt werden würden, und der einfach da war, um sich das anzugucken, um sich eigentlich zu überzeugen, vom Gegenteil, also daß die Polizei demokratisch ist, daß man demonstrieren kann. Das war seine erste und seine letzte Demonstration."

"Also, die Polizei bestand nicht aus den netten Opas von nebenan, sondern es gab eine andere Polizei, die ganz aggressiv war. Das hat bei mir auch sehr viel ausgelöst und ich bin überzeugt, innerhalb der gesamten Studentenschaft, alle, also ich war in dem Punkt ein typischer Student, die an die Rechtsstaatlichkeit geglaubt haben, an die Polizei, dein Freund und Helfer, und plötzlich stellte sich heraus, die Polizei ist Unterdrückungsorgan, ist nicht der nette Mann, sondern der Schläger von nebenan. Das war schon erstaunlich zu sehen, und darüber entspann sich dann auch die Diskussion. Das war der Inhalt der ersten Teach-ins, die Frage zu stellen, warum ist der westdeutsche oder der West-Berliner Staat so repressiv."
Trauer um Ohnesorg
Der Tod des Studenten brachte alle auf die Beine - alle Studenten. Die anderen - die Alten - wollten nichts davon hören. Die Polizei hat immer Recht. Wenn sie einen erschießt, dann nicht ohne Grund. Und Feierabend.
Benno Ohnesorg war eben nicht jedermanns Bruder.

"Es war ein warmer Juni und es wurde jeden Tag demonstriert, praktisch danach, nach dem 2. Juni, das war wie eine Kettenreaktion. Und Leute, die vorher garantiert nicht links waren, wurden plötzlich links. Ich weiß nicht, ich war ja vorher schon links."

"Plötzlich haben die alle sich auch vom Äußeren her verändert, dann haben sie alle Bärte getragen, nach einem Jahr wurden alle Ehen geschieden. Komisch, ja? Die hatten alle schon ein Kind gehabt, ja, haben einen kleinen Citroën oder einen kleinen Renault gehabt und plötzlich kommt so ein Gewitter über sie, wie die linke Bewegung, und ihr ganzes Leben verändert sich. Und sie können nicht mehr nach Hause fahren, weil die Eltern die langen Haare oder die Bärte nicht mehr sehen wollen, die ganze Welt verändert sich. Und plötzlich lesen sie alle Marx, ja, ist schon merkwürdig."
Gert Möbius
Gert Möbius

An der Uni war´s bisher ziemlich förmlich zugegangen. Lauter einzelne Existenzen. Und mit einemmal schauten sie einander an und erkannten sich.
Sozusagen.

Rüdiger Safranski
Rüdiger Safranski
"Noch im Sommer davor, noch 66, haben wir uns noch in den Seminaren, auch unter den Studenten, mit Sie angeredet. Und 67 war auch die große Taufe, da war auf einmal, da kannte man nur noch Du's. Und in den frühen 70er Jahren waren dann auch die ganzen Professoren auf einmal lauter Du's. Das alles gehört zur Stiftung neuer Gemeinschaft innerhalb einer anonymen Gesellschaft."

"Warum haben Sie bei Adorno studiert?"
"Ich hab' ja angefangen zu studieren im Jahr 1964, bin Jahrgang 1945 und in der Provinz, in Rottweil, kleine Stadt in Süddeutschland, großgeworden, und da war Adorno - 64 schon - so eine Kultfigur. Adorno zu lesen, im Freibad, wenn man dann das Buch, Minima Moralia, auf dem Handtuch liegen hatte, das gab Startvorteile. Das war schon was, und das war noch weit vor 68. Er war schon ein Geheimtip, und deswegen reizte mich dieser Mann. Ich glaube, ich war damals noch sehr existentialistisch gestimmt, und auch sehr ästhetisch-literarisch ambitioniert und an Adorno war doch dann das Faszinierende jetzt nicht so sehr der gesellschaftstheoretische Großentwurf, sondern dieses ästhetisch Anspruchsvolle und Rätselhafte, was auch in dieser Theorie war. Man empfand, seine Theorie, die war so gestrickt wie ein Gedicht, man rätselte darüber, wie man über ein Hölderlin-Gedicht rätseln konnte. Und das war nicht ein Kursus in Gesellschaftstheorie, sondern das waren kabbalistisch-rätselhafte Texte."

Minima Moralia, eins der Hauptwerke Adornos. In ihm steht, neben vielem, das man nur schwer versteht, in einem Kapitel über die Unmöglichkeit, sich mit gekauften Stilmöbeln einzurichten, erst recht aber in modernem Mobiliar zu leben, ein Satz von gefährlicher Eindringlichkeit:

Es gibt kein richtiges Leben im falschen.

Für die Jungen hieß das: sinnlos am Detail zu ändern. Alles muß verändert werden.

Minima Moralia von Adorno
Safranski: "Ich werde nicht vergessen, als ich dann nach Frankfurt kam und die erste Vorlesung hörte, Geschichtsphilosophie las er da, und schon damals im großen Hörsaal in Frankfurt ganz oben, ich glaube es war der Hörsaal eins, tausend Leute gingen da rein, und da waren auch tausend Leute da. Und abschüssig ging es runter zum Podium, und wir saßen da, und ich saß da, und da kam erst mal in einer leicht gebückten Haltung, wie so die Assistenten waren, kam ein Assistent heruntergelaufen, ging ans Mikrofon und sagte: 'Der Herr Professor Adorno wird heute etwas leiser sprechen, er ist erkältet'. Und dann kam erst Adorno und das war für mich so ein Initiationserlebnis, ich dachte: Ja das ist große Theorie! Große Theorie ist, wenn jemand nicht selber sagen muß, daß er erkältet ist."
In Berlin, am Ku´damm, in einem Haus, das einmal der Gestapo gehört hatte (der Adler hing noch über dem Eingang, komisch, kein Mensch schlug ihn ab, undenkbar heute), hatte der Sozialistische Studentenbund sein Büro.

Ursprünglich war der SDS die Studentenorganisation der SPD gewesen, aber die Jungen waren den Alten längst zu radikal geworden.

Semler: "Diese Vorstellung von damals, Mann jetzt geht's los, auf der ganzen Welt bewegte sich alles nach links, die Verhältnisse tanzen, keine Sekunde Zeit verlieren. Wir müssen dran bleiben, diese Aufgeregtheit, diese Hektik, diese Begeisterung." SDS
Rabehl: "Die Welt wird links, die Welt ist nur falsch gestrickt und wir müssen das Paradies auf Erden errichten. Also die Revolution würde aus Vietnam nach Europa zurückkehren, die würde aus Afrika herkommen, aus Lateinamerika, nach Europa kommen, und die Herrschenden sind unfähig."

Der SDS hatte 1967 viel vor. Das Projekt einer Gegenuniversität war noch eines der bescheideneren. Sie wollten ihre eigene Uni gründen, gegen die Uni der Herrschenden, der Ordinarien, der Fachidioten etc. Der Professoren also. Und die eigene Uni sollte nicht im schönen Dahlem liegen, sondern bei den Arbeitern. Denen wollten sie nahe sein. Die FU-Chinesen, wie der Volksmund sie nannte, wegen ihrer Sympathien für Mao. Rudi Dutschke erläutert Fragen des Austauschs von Studenten der künftigen Gegenuni mit Studenten ausländischer Universitäten, vor allem Havanna, Cuba.
Dutschke war so eine Art Lenin des SDS, charismatischer Wortführer. Er hatte sich wohl nicht selbst dazu gemacht, vielleicht wollte er es gar nicht. Er wurde dazu gemacht, und es sollte ihn das Leben kosten.

Christian Semler
Christian Semler
"Ich war fasziniert davon, daß es ein Mensch war, der sehr sehr stark glaubte, daß jeder so ein Potential hat, ein Rebellionspotential, ein linkes Potential in sich. Der unglaublich auf die Leute zuging und sie ansprach und der einfach an das Gute in ihnen glaubte, also eine Einstellung, die ich nie geteilt habe. Andererseits war es so: Er war sehr demokratisch, aber gleichzeitig natürlich auch total konspirativ. Er war auf Massenaktionen aus, auf Kritik und Selbstkritik in Massenaktionen, und gleichzeitig war er für klandestine Aktionen aufgeschlossen. Er hatte gewissermaßen diese beiden Gesichter. Und er war ein unglaublicher Optimist. Dann war es auch noch so, daß in dieser sehr buchgläubigen Zeit, und das waren die 60er Jahre zweifellos, sein stupendes Wissen, seine Kenntnis der Geschichte der Arbeiterbewegung, mir natürlich auch sehr gefallen und auch imponiert hat. Der wußte viel mehr als ich beispielsweise. Und es war auch so, daß er verstand, wenigstens versuchte, es auf eine konkrete Situation anzuwenden, also er war kein Dogmatiker."

"Das bürgerlich-kapitalistische Denken zeichnet sich dadurch aus, daß es gesellschaftliche Konflikte, von Menschen gemacht, von vielen Menschen massenhaft gemacht, nur begreifen kann in der Gestalt von Personen. Dieses Denken muß personalisieren, und so war es auch kein Wunder, daß unser Konflikt mit dieser Gesellschaft, von der wir nichts mehr erwarten, mit der wir uns auseinandersetzen, gegen die wir kämpfen, weil sie uns eine neue Welt verweigert, darum war auch von ihr nichts anders zu erwarten, daß sie unsere Bewegung personalisiert." Rudi Dutschke
Rudi Dutschke

Semler: "Ich mochte auch dieses etwas Fremdländische an ihm, er hatte ja so einen etwas eigenartigen Dialekt, obwohl er aus Luckenwalde kam, klang das immer so ein bißchen halb polnisch, wie er redete. Und er hatte auch diese Rhetorik, die heute niemand mehr begreift. Man findet das Ende der Sätze nicht mehr, wenn man eine Rede von ihm hört, aber damals fanden wir das alle wunderbar, ich auch. Und ich hab nie die Kritik an ihm geteilt, daß er gewissermaßen egozentrisch und eitel gewesen wär und alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte. Ich bin ganz im Gegenteil der Meinung, daß es sein Verdienst ist, unter anderem sein Verdienst ist, daß diese ganze Studentenbewegung dermaßen in den Fokus der Medien geriet."

Dutschke: "So wurde die antiautoritäre Bewegung identisch gesetzt mit Dutschke und personalisiert in einem fast totalen Sinne."

Semler: "Daß er gewissermaßen von den Verhältnissen zerrieben wurde, vor dem Attentat schon, und daß er die Absicht hatte, in die USA zu gehen, das hab ich ihm nicht krumm genommen."

Dutschke: "Ich gehe darum weg für einige Zeit, weil ich meine, daß unsere Revolution als Moment der internationalen Revolution nur erfolgreich sein kann, wenn es uns gelingt, den revolutionären Prozeß zu internationalisieren."

Semler: "Das war einfach für einen einzelnen Menschen zu viel. Er ist ja wie ein Komet aufgestiegen innerhalb von anderthalb Jahren und er war eben kein Volkstribun, sondern war letzten Endes wie Sie und ich."
... Weiter im Text

| zurück zum Anfang   |Home
1/3

© Schmidt & Paetzel Fernsehfilme 2003