Inforadio, 18.02.2003: Interview mit Andreas Christoph Schmidt
Tagesspiegel, 16.02.03: Rokoko? Oder doch eher Punk?
Neue Zürcher Zeitung, 13.02.2003: Rundum geglückte Begegnung mit der Geschichte.Blick auf den Bildschirm
taz, 13.02.03: Rock, Minirock und Marx
SZ, 13.02.03: Kostümfest 1968. Stones, Minirock und Che - war das alles links?
tip, 06/03, 13.03. - 26.03: Alte Säcke
epd medien Nr. 18, 08.03.03: Schmidts Kunststück
Der Standard, 16.04.2003
Blumenau, fm4, ORF

Inforadio, 18.02.2003

Heute wird im SFB1-Fernsehen um 22.15 Uhr die erste Folge einer vier-teiligen Dokumentarserie mit dem Titel "Was war links" ausgestrahlt - eine Co-Produktion von SWR und SFB. Die vierteilige Serie setzt sich kritisch mit der Geschichte der Studentenrevolte in den 60er und 70er Jahren in Deutschland auseinander.

Der Autor Andreas Christoph Schmidt im Gespräch mit Marcus Pindur



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Tagesspiegel, 16.02.03

Rokoko? Oder doch eher Punk?

Der Vierteiler "Was war links?" beschreibt die Lebensstile der 68er-Generation
Von Harald Martenstein

Der Dichter Robert Gernhardt wird in diesem Film gefragt, warum er sich als einen Linken bezeichnet. Sogar heute noch! Gernhardt antwortet, dass er sich diese Frage gelegentlich selber stelle und die Antwort nicht wisse. Er spüre aber immer wieder, dass er kein Rechter sei. Er müsse ein Linker sein, weil er kein Rechter ist: Eine bessere Definition falle ihm leider nicht ein.

"Was war links?" Unter diesem Titel hat Andreas Christoph Schmidt für den SFB und den SWR eine "historische Revue" gedreht. Außergewöhnlich ist das Projekt schon wegen des Aufwands - zwei Jahre Dreharbeit, vier Teile, vier Stunden. Schmidt konzentriert sich auf die Zeit, in der zum vorerst letzten Mal ein im klassischen Sinn linkes Weltbild entstanden ist, die Zeit um 1968.

Es ist also eine Lebensbilanz der heute tonangebenden Generation und die Bilanz eines Jahrhundertprojekts, erzählt aus einer Position der sympathisierenden Distanz. Schmidt hat die alt gewordenen Helden des SDS befragt, die linken Unternehmer Bernd Lunkewitz und Klaus Zapf, den Adornoschüler Rüdiger Safranski, den Ex-Linken Martin Walser, Katharina Rutschky und Barbara Sichtermann. Er betritt auch die geistigen No-Go-Areas, die verbotenen Zonen, er redet mit dem Historiker Ernst Nolte und mit dem Exterroristen Horst Mahler, der heute bei der NPD sein Zelt aufgeschlagen hat. Noch ein bisschen interessanter sind die Bilddokumente, die Schmidt ausgegraben hat: Interviews mit Jean-Paul Sartre und Ulrike Meinhoff, historische Auftritte der Philosophen Marcuse, Lukacz und Horkheimer, der Liedermacher Walter Mossmann und Franz Josef Degenhardt, Horrorszenen der chinesischen Kulturrevolution. Schmidts Dokumentation ist weder eine Abrechnung noch verbreitet sie Nostalgie. Dass der Grundton ein eher ratloser ist, liegt nicht am Autor, sondern in der Natur der Sache.

Was war links? Die Antwort besteht aus einem Bündel von Widersprüchen. Linke sind zum Beispiel für das Prinzip "Natur", weil sie in der Natur die Gleichheit und den Urkommunismus vermuten. Die Linken sind grundsätzlich frech und antiautoritär - aber reagieren mit Härte, wenn die Frechheit sich gegen sie selber kehrt. Die Linken sind für Freiheit und Gleichheit, aber es ist ihnen nie gelungen, den Widerspruch zwischen diesen beiden Werten befriedigend aufzulösen.

Das war links: Ein Bündel nie zu Ende gedachter Widersprüche. Eine Haltung, die zwar zur Praxis nicht taugte, aber ein attraktives Lebensgefühl hervorgebracht hat, einen allen geistigen Konkurrenten überlegenen politischen Stil - emotionsbetont, scheinbar frei, lustbejahend, wild. Wer Schmidts Film gesehen hat, begreift auch die Schwierigkeiten der heutigen Spitzenpolitiker, soweit sie aus der 68er-Ecke kommen. Sie beherrschen die Form, ihre Performance ist immer noch die beste, aber sie wissen beim besten Willen nicht, was sie tun sollen. "Links" war 1968 offenbar ein kultureller, kein politischer Begriff, ein Stil, wie Rokoko oder Art Deco oder Punk. Erst heute merkt man es. Robert Gernhardt hat Recht.

Erster Teil: SFB 1, 18. Februar, 22 Uhr 15. Zweiter Teil: 19. Februar, 22 Uhr 45. Dritter Teil: 25. Februar, 22 Uhr 15. Letzter Teil: 26. Februar, 22 Uhr 45.

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Neue Zürcher Zeitung, 13.02.2003

Rundum geglückte Begegnung mit der Geschichte.Blick auf den Bildschirm


H.Sf. Die Vergangenheitsform im Titel signalisiert Distanz zum Thema. "Was war links?" - so heisst die vierteilige Dokumentation des Südwestfunks, in der Andreas Christoph Schmidt, Jahrgang 1957, sich als neugierige Entdecker auf eine Zeitreise begibt. Ohne Rücksicht auf politisch bedingte Reflexe der unterschiedlichen Lager will er erkunden, welchen seltsamen Ritualen und Ideen jene Milieus anhingen, für die bis heute die Jahreszahl "1968" biographischer Bezugspunkt ist. Allein dass er den von manchen Feuilletons zur Unperson erklärten Ernst Nolte als Kritiker der Achtundsechziger auftreten lässt, wird ihm wohl übel genommen werden.

Aber Schmidts Ziel ist nicht eine ausgewogene und deutungsstarke filmische Meistererzählung in Sachen Geschichte, die alles erklärt und historisch wohlsortiert präsentiert, sondern die intelligent gemachte Revue einer persönlichen Recherche aus Bildern, Tönen und Texten jener Epoche. Der Autor folgt einem elementaren Bedürfnis, sich das Damals erst einmal auch im Detail zu vergegenwärtigen, bevor er in Gesprächen mit vielen Zeitzeugen sein Urteil erprobt. Erleben und Verstehen mischen sich hier in einer unaufgeregten und deshalb so geglückten Fernsehdokumentation. Die ersten drei Folgen sind weitgehend chronologisch geordnet: "Protestund Theorie" leuchtet die Vorgeschichte von 1968 aus. "Dutschke und Konsorten" erzählt von Höhepunkt und Wende der Studentenrevolte, deren Zerfallsprodukte in "Lärm und Gewalt" besichtigt werden. "Kunst und Klassenkampf" schließlich sind die Themen der abschliessenden Folge.

Schmidt geht sein Thema erfreulich respektlos an und lässt sich weder von den revolutionären Sprechblasen einschüchtern, denen mancher auch heute noch anhängt, noch vom Ernstfall-Pathos einiger Staatschützer. Eigensinnig will er wissen, was die alt gewordenen Protagonisten vergangener Kämpfe damals umtrieb und wie sie heute darüber denken. Bericht und Kommentar lässt er von Thomas Thieme fast alltagsprachlich und etwas knurrig vortragen. Das macht das Unternehemn schon akustisch sympatisch unprätentiös.

Bestes Material ist hier zu sehen und zu hören. Darunter sind herrliche Kuriosa: so etwa Filmmszenen, in denen Max Horkheimer als passionierter Zeitungsleser auftritt und seiner Frau begeistert die Comocs aus der "International Herald Tribune" vorliest. Auch sieht man mit vergnügen den jungen Ulrich Wickert im Interviewverhör mit dem Führer einer studentischen KPD. Weil dem heutigen "Tagesthemen"-Moderator damals die schlimme linke Gesinnung des Verhörten nicht klar genug hervorging, liess er dem Ton knallige Textzeilen unterlegen, die dem Zuschauer zum Beispiel das "Bekenntnis zum Terror" nicht nur hörbar, sondern auch augenfällig machen sollen. Aber auch die Chronik des Protests vom Schah-Besuch und Ohnesorg-Totschlag 1967 über die grossen Berliner Anti-Springer-Demonstrationen bis zu den "Häuserkämpfen" und Anti-Kernkraft-Aktionen der siebziger und achtziger Jahre ist treffsicher ins Bild gesetzt. Natürlich fehlt nicht der Absturz in den Terrorismus der "Roten-Armee-Fraktion".

Viele der Rebellen von damals sind längst im Alltag der liberalen Republik angekommen. Dutschke-Freund Rabehl gehört ebenso zu ihnen wie der Schriftsteller Klaus Theweleit und Rüdiger Safranski, der Journalist Christian Semler, Bernd F. Lunkewitz vom Aufbau-Verlag oder der Philosoph Oskar Negt. Manche haben Habitus und Gestus beibehalten, indes aber die Ansichten geändert. Einige haben windungsreiche Lebenswege genommen, wie zum Beispiel Horst Mahler, der als Rechtsanwalt aufmüpfige Studenten verteidigte, dann in den terroristischen Untergrund ging, zehn Jahre im Gefängnis sass und heute im Umfeld der rechtsextremen NPD operiert.

"Frechheit, das war das Erste", sagt Klaus Theweleit und beschreibt damit den diffus-aufsässigen Anfang einer Jugendrevolte, die sich erst langsam eine Theorie und dann immer rascher wechselnde revolutionäre Subjekte suchte. Was ein Lebensgefühl des Widerspruchs aus dem Geist der Rockmusik war, kippte um, zuerst in Buchgläubigkeit, später in einen Kult der Gewalt. Der Freiheitsimpuls wurde früh gebrochen. Noch mancher hängt heute einem phrasenhaften Begriff von "Gerechtigkeit" an, der zu bereitwillig Freiheit preisgibt. Er muss freilich, wie etwa Lunkewitz, mit einer lakonischer Antwort des Filmautors rechnen, die den Alt-Achtundsechziger vor allem alt aussehen lässt.

Andreas Schmidt bilanziert nicht mit dem Gestus der Abrechnung. Dazu, so kann man die Botschaft seiner Epochenbesichtigung auch verstehen, ist diese Zeit heute gar nicht mehr wichtig genug. "Was war links?" nähert sich "1968" mit jener nachsichtigen Neugier, mit der die Kinder in der Jugend der Eltern herumstöbern und sich über deren Tollheiten amüsieren. Das ist in der Regel dann der Fall, wenn die Jungen der Welterklärung der Älteren nicht mehr glauben. Die Dokumentation geht allerdings zu einer Zeit über den Bildschirm, in der in Berlin ein Rest jenes Ressentiments, das damals auch die Rebellen auf die Strasse trieb, die grosse Politik beeinflusst. Deshalb lohnt das Hinsehen nicht bloss für die, die in "Was war links?" eine Begegnung mit frühen Phasen der eigenen Biographie suchen.

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taz, 13.02.03
Rock, Minirock und Marx

In einer ebenso ambitionierten wie unterhaltsamen Reihe widmet sich der SWR der alten Frage: "Was war links?" - die Doku ist alles andere als ein nostalgischer Rückblick (22.30 Uhr, SWR)
von DANIEL HAUFLER

Die kokett doppeldeutige Frage war 1992 berechtigt: "Whats left?" Hatte sich doch kurz zuvor der "real existierende Sozialismus" in die Geschichtsbücher verabschiedet, und die deutsche Linke war tot wie ein Topflappen. Nur dass die Frage im Feuilleton der FAZ gestellt wurde, irritierte ein wenig. Um Antworten bemühten sich Philosophen wie Norberto Bobbio und André Gorz, neoliberale FAZ-Journalisten und die üblichen einst linken Publizisten wie Peter Glotz und Cora Stephan. Das Ergebnis war trist. Nur der nationalkonservative Historiker Ernst Nolte stellte überraschend fest, dass von der Linken einfach "alles" bleibe - "ausgenommen die Idee der erlösenden Weltrevolution durch die ,Partei der Arbeiterklasse' ". Da war was dran.
Diesen Beitrag muss auch Andreas Christoph Schmidt gelesen haben, als er seine unterhaltsame vierteilige Doku-Serie "Was war links?" vorbereitet hat. Denn vor allem in der ersten Folge mutiert Nolte nun zum wesentlichen Theoretiker der Linken. Und er teilt Tröstliches mit: Die Linke existiert im Grunde, seit es Menschen gibt, auf jeden Fall seit den Hochkulturen der Antike. Damals schon wollte ein ägyptischer Zimmermann nicht mehr für seinen Herrscher Bretter schleppen. "Das ist ein echter linker Affekt, auch ein berechtigter, ein potenziell positiver", befindet der Historiker. Die Linke wollte eben immer die Verhältnisse ändern, "notfalls mit Gewalt, also Rebellion". So sei es auch in den späten 1950er-Jahren gewesen, meint Filmautor Schmidt. Die "Halbstarken" ließen sich die Haare lang wachsen und zerlegten nach Konzerten von Bill Haley die Stuhlreihen zu Kleinholz. Der Aufstand war also da. Nur: "ohne Warum, Wieso, Wohin". War das links? Oder eher Ausruck des Lebensgefühls einer jungen Generation, die einfach nicht so ordentlich, sauber und spießig wie ihre Eltern sein wollte?
Beides, glaubt der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit. Rock war ebenso links wie Minirock und Marx. Auf jeden Fall war, so Theweleit "die Popkultur viel wichtiger als die Blauen Bände" der Marx-Engels-Werke. Es galt frech zu sein gegenüber den Autoritäten. Die hätten doch "Dreck am Hacken" gehabt und gerierten sich als Saubermänner.
Klar war: "Die Autoritäten hatten sich blamiert." Das sagt auch die Publizistin Barbara Sichtermann. Keiner wollte mehr so sein. Doch während die Älteren nicht anders konnten, dachten die Jungen, es muss anders gehen. Sie hörten Beatles und Rolling Stones, hingen herum und sagten verwunderten Reportern in die Kamera: "Ich finde det jut, wie man in England herumgammelt." Oder über ihre langen Haare: "Ich finde das auf ne Art doll und dufte. Ich bin gegen Spießbürger." Ob das "links" war - diese Frage stellte sich für diese Generation nicht. Rebellion war es trotzdem.
Diese These belegt Schmidt überzeugend mit zahlreichen Dokumentaraufnahmen von Konzerten und Straßenschlachten. Dagegen schneidet immer wieder "Talking Heads" zur Theorie der Linken, allen voran die Marxismus-Experten Wolfgang Fritz Haug und Max Horkheimer. Das hat durchaus seinen Reiz, da Haug zwar bekennt, dass man durchaus links sein könne, ohne Marx Werk zu kennen. Aber zu Recht darauf besteht: "Wer sich nicht mit Marx beschäftigt, der vergibt sich der Möglichkeit, sein Denken zu schulen." Zumal es bis heute keine Analyse des Kapitalismus gibt, die mit der Marxschen konkurrieren kann.
Ganz anders Horkheimer: Der Vordenker der Frankfurter Schule verteidigt seine kritische Theorie, mit der sich die Gesellschaft analysieren lasse. Er verweigert jedoch seinen Studenten in den Sechzigern die Utopie von einer besseren Welt. Schließlich habe schon Marx vom "Reich der Freiheit" geschrieben, sich aber davor gehütet, diese Idee auszuführen. (Für Experten: Kapital, 3. Teil, S. 828). Aus dem Ohrensessel seines Büros kritisiert Horkheimer zudem die Verelendungstheorie von Marx, die davon ausgeht, dass der Kapitalismus von sich aus zur Revolution dränge, da sich die Lage der Arbeiter kontinuierlich verschlechtere. So sei es nun nicht gewesen.
Diesen Einwand teilt sogar der Dichter Robert Gernhardt - und wundert sich, warum dann gerade in den Sechzigern die Zeit für eine Revolte gekommen sein sollte. Schließlich ging im Westen Deutschlands alles seinen geregelten Gang. Es habe "Massenbeschäftigung" gegeben und auch mehr sexuelle Freiheiten. Kurz: "Es war eigentlich die beste Zeit." So entspannt hört sich heute eine linke Meinung an.

Heute im SWR (22.30 h), am 18. 2. auf B 1 (22.15 h) und am 16. 4. auf 3sat (21 h). Fortsetzungen im Wochentakt taz Nr. 6979 vom 13.2.2003, Seite 17, 153 Zeilen (Kommentar), DANIEL HAUFLER

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SZ, 13.02.03 Kostümfest 1968
Stones, Minirock und Che - war das alles links?


Es ist, als dürfte diese Vergangenheit nie vergehen: Kaum hat man in einem gigantischen Guidoknoppismus Stalingrad abgefeiert, kommt die nächste Schicht Augenzeugen, die den staunenden Enkeln erzählt, wie es damals war im Krieg. Das annus mirabilis 1968 dehnt sich dann von den Schwabinger Krawallen (1962) bis zu den ersten Anti-AKW-Demonstrationen (1976), und wer dabei war, braucht nur noch eine Pfeife und eine Ofenbank, um den immer unlustiger gestimmten Enkeln von verblichenen Heldentaten zu erzählen.
Autor Andreas Christoph Schmidt, der schon mit Guido Knopp gearbeitet hat, stellt manchmal listig, manchmal allzu naiv die Frage "Was war links?". Es ist ein beschwingtes Treffen der Veteranen geworden, die sich an ihre besten Jahre erinnern: begeistert (Barbara Sichtermann; Christian Semler), kritisch (Katharina Rutschky, Rüdiger Safranski) oder abgeklärt (Aufbau- Verleger Bernd F. Lunkewitz). Ein bisschen Verschwörungstheorie ist dabei, ob der Staat sich der Terroristen nicht auch bediente.
Fehler bleiben nicht aus: Ulrike Meinhof hat nicht, auch wenn es sich lustig anhört, nach der Trennung von ihrem Mann ins Ehebett "geschissen". Der Soziologe Peter Brückner wurde zwar wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung suspendiert, aber das hatte mit dem Mescalero-Text zu tun, den er mit anderen publizierte. Die DDR war keineswegs so kulturfeindlich, wie der Pfeife schmauchende Rüdiger Safranski meint.
Die Sechzigerjahre waren die glücklichste Zeit in Deutschland, sagt Robert Gernhardt. Es gab die Pille, es gab die Rolling Stones, und die Welt war mit einem Mal jung. An den Universitäten studierten wenige tausend Bürgerkinder, die sich plötzlich nach unten orientierten und ins Ausland: Che Guevara und Mao wurden ihre Helden, und am fatalen Ende: der Arbeiter. Der wollte diese Revolutionäre bereits scheren und ins Arbeitslager stecken, als ihnen erst die Haare in die Stirn hingen. Statt vom bewaffneten Aufstand träumte er lieber vom Kadett.
Die Revue ist reich an Entdeckungen: Willy Brandt, der im Flugzeug mit einer Spielzeugpistole herumknallt; Klaus Lemkes Spielfilm zur Kaufhausbrandstiftung; der so langhaarige wie kritische Reporter Ulrich Wickert befragt den KPD/ML-Chef Christian Semler und untertitelt dessen Aussagen, weil die Zuschauer sonst wahrscheinlich zu romantisch glotzten; der Philosoph Max Horkheimer, der am Kiosk die internationale Presse einkauft und dann im Ohrensessel seiner Frau die Weltlage hinter der vorgeschützten Zeitung erklärt und seufzt: "Wie schön, dass es die Comics gibt!"
"War der Minirock links?" wird Klaus Theweleit gefragt. Zögernd sagt er ja und reißt sich sofort am Riemen, denn natürlich sei der Minirock sexistisch. Wer dabei war, kann ein Lied davon singen, wer es verpasst hat, wird seine Freude an diesem Kostümfest haben. Ist der Sozialismus tot?, fragt Autor Schmidt. Bei der heute bestimmenden Generation der "Schulschwänzer" kommt er jedenfalls nicht an, meint Harun Farocki. Aber woher denn, sagt Unternehmer Klaus Zapf: "Warum soll der tot sein?" Die schulschwänzenden Enkel hören's mit großen Augen.
WILLI WINKLER

Was war links?, SWR, 13., 20., 27. Februar und 6. März jeweils um 22. 30 Uhr. In B1 am 18., 19., 25. Und 26. Februar.

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tip, 06/03 Alte Säcke
Der Televisor sah sich mit der Dokumentation "Was war links?" in die Welt von 1968 zurückversetzt.


Winterzeit. Klirrende Kälte. In der guten Stube wärmt sich die Familie am brizzelnden Ofen. Die Alten erzählen Kriegsgeschichten, und die jungen Leute verdrehen gelangweilt ihre Augen unterm Langhaarpony. 35 Jahre später. Winterzeit. Klirrende Kälte. Die Heizung powert. Im Fernsehen erzählen die Alten von 1968, und die Nichte des Televisors ballt die mit zwanzig Ringen verzierten Fäuste: "Gähn, schnarch, langweilig", murrt das gepiercte Rotzblag. Doch der Televisor hat die Macht und lässt die Fernbedienung so schnell nicht in die silbrigen Hände übergehen. Er will auch noch den letzten der vier Teile von "Was war links?" sehen, eine "historische Revue" von Andreas Christoph Schmidt über 1968 und die Folgen. "Die sollen lieber auf die Straße gehen, statt zu quackeln", knurrt die Nichte, die inzwischen mächtig demonstrationserfahren ist: Montagsdemo, Irak-Krieg, Stop the Bush-War. "Geil!", kreischt plötzlich die Nichte und fingerzeigt auf den Bildschirm, wo der heutige Außenminister Joseph Fischer gerade als junger Joschka, mit Helm und Schlagstock ausgerüstet, einen Polizisten verprügelt. Eben noch in den Nachrichten, schwang Fischer vor dem UN-Sicherheitsrat ein kleines Hämmerchen, mit dem er für Ruhe in der New Yorker Weltwohngemeinschaftsküche sorgte. Vom Demoknüppel zum Sicherheitshammer - was für eine Karriere! Auch wenn der Televisor wesentlich jünger ist als die Altkämpen, wundert es ihn schon sehr, wie viele 68er er inzwischen kennt: Christian Semler, der Ex-Sektenkommunist und jetzige "taz"-Chefkommentator, brummelt Schnurren über Schwabinger Jugendaufstände und Berliner Anti-Springer-Demos; Katharina Rutschky, die an der Psychotherapie geschulte Schwerfeuilletonistin, diagnostiziert, dass die früher körperfeindlichen Deutschen heute an einer Sexualhysterie leiden; oder Robert Gernhardt, der in guter Tradition der von ihm mitbegründeten Neuen Frankfurter Schule die witzigste und schlüssigste Antwort auf die Frage aller Fragen gibt, ob er noch links sei: "Ich bin nicht rechts, also bin ich links." Alles in allem eine große Familie, die angetreten ist, in den vergilbten Fotoalben zu wühlen und der Jugend ihre Werte zu vermitteln. "Alte Säcke", fasst die Nichte zusammen, und der Televisor wartet auf das Jahr 2038, wenn dann die Nichte was zu erzählen hat.

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epd medien Nr. 18, 08.03.03 Schmidts Kunststück

Tote leben länger, sagen viele, die den Sozialismus oder zumindest dessen nostalgische Spielart der 68er-Rebellion meinen. Claudia Roth, die Managerin der "Ton, Steine, Scherben" ("Macht kaputt, was euch kaputtmacht"), sitzt heute im Regierungs-Establishment und selbst Karl Marx" "Reich der Freiheit", das beginne, wo die Arbeit aufhöre, scheint sich mit etwas anderen Vorzeichen in der Freizeit- und Spaß-Gesellschaft verwirklicht zu haben. Roth kam in Andreas Christoph Schmidts brillanter Zeitgeist-Politrevue zwar nicht vor, dafür aber gelang ihm eine liebevolle, traurige und ehrliche Spurensuche nach dem, was "links", also aufgeklärt und modern sein soll. Listig schlug sich der Autor durch den Dschungel der Filmdokumente und Zitate der Studentenrevolution, die er zu einer undogmatischen Collage formte. Allerdings nie bloß um des verblüffenden Effektes willen, womöglich für eine "01die"-Show im Retro-Look, sondern pfiffig, bissig und mit einer immer wieder erstaunlichen, persönlichen Offenheit. In der zweiten Folge über "Dutschke £t Konsorten" interviewt Schmidt Bernd Lunkewitz, den Frankfurter Immobilienmogul und "Aufbau"-Chef, stellt ihn im Insert non-chalent als "Grundstücksspekulant und Verleger, Deutschlands reichster Linker oder linkster Reicher?" vor. Lunkewitz hält sich noch immer für einen Linken und träumt noch immer von der sozialistischen Utopie einer Gesellschaft ohne Gewalt und Ausbeutung, von der proletarischen Revolution. Ob er bei diesem Umsturz dann auch enteignet würde, will Schmidt wissen. Ja, meint Lunkewitz, aber das sei ihm egal, "denn in der Gesellschaft, die mir vorschwebt, würde es mir an nichts fehlen". Mir aber schon, meinte Schmidt, "und sei es nur, daß ich mein Maul aufmachen darf. Keine Frage, diese filmische Abrechnung ist eine sehr persönliche, eine, die Distanz nicht als willkommene Fluchtperspektive hin zur Nostalgie begreift, sondern als Gelegenheit, mal ganz verbindlich das große Ganze in seiner eigentlichen Kleinheit und Beschränktheit wahrzunehmen. Und das, so Schmidts Kunststück, ohne in die Boshaftigkeit des misantropen Renegaten zu verfallen, der alles eh schon geahnt hat. Aus dieser Warte gelingen Schmidt etliche Einsichten, die über das "68er-Bashing" hinausgehen, das erst unlängst in der Debatte um Joschka Fischers Vergangenheit so unversöhnlich aufbrach. Schmidt stellt in der zweiten Folge die diversen internationalistischen Aktivitäten der studentischen Linken von Vietnam bis zu den Schwarzen in den USA vor. Süffisant läßt er in einem Ausschnitt Bobby Seale zu Wort kommen, "Mitbegründer und .Informationsminister' der Black Panther. Heute Fernsehkoch". Seale mokiert sich über das liberale weiße Establishment, vergleicht es mit einem ängstlichen kleinen Jungen, dem man jeden Tag Geld abpressen könnte, und er dürfe sich über die unerbittliche "bloody revolution" gar nicht beschweren, wegen der Sklaverei und so. Doch Schmidt weiß auch, woher der linke Antiamerikanismus kommt: er sei "eigentlich ein Pro-Amerikanismus in Schwarz". Und die Afro-Bewegung hatte "vor allem die bessere Musik". Es ist die gefühlte Revolte, die Schmidt so gekonnt beschreibt, schon in der ersten Folge ("Theorie & Protest"). Ein junger Mann mit langen Haaren bekennt: "Ich bin gegen das Spießertum" und der damals aus dem verschlafenen Rathenow nach Berlin kommende APO-Aktivist Bernd Rabehl erinnert sich an das erste Zeichen eines freieren Lebens, die Randale beim Bill-Haley-Konzert anno 1957. "Macht kaputt, was euch kaputtmacht", das war so eine nicht nur dahingesagte Losung, die Schmidt als Resümee nochmals aufgreift. Da geht es um Theodor W. Adorno, der mit seiner Losung "Es gibt kein richtiges Leben im falschen" eine Lunte zur Rebellion legte, eigentlich aber, so APO-Archivverwalter Stegwart Lönnendonker, nur das "Schweißtuch der Gedanken falten", eine rein theoretische Gedankenübung vollziehen wollte. Dafür gaben sie ihm dann bei einer "lphigenie"-Vorlesung einen aufblasbaren Teddy, wollten statt Worten Taten, wollten den "Vatermord". Adorno witterte indes schon den totalitären Druck, dieses "Was tun?" sei "eine Art Terror". Kurz darauf, 1969, starb er an Herzschwäche, "am gebrochenen Herzen", wie Lönnendonker sagt. Die Revolution war schon 1969 mausetot, läßt Schmidt anklingen und blickt dennoch nicht zurück im Zorn. Mit Ironie und Wehmut spürte er den Träumen und ihrer Umsetzung nach, wobei die Spannung zwischen Wunsch und Wirklichkeit permanent tragikomische Situationen auslöste. Da erklang die 69er-Erotik-Hymne "Je t'ai-me" und die Kuschelpaare kontrastierte Schmidt kühl mit Bildern der Berliner Mauer. In deren Schatten habe man sich auf die eigene Selbstbefreiung konzentriert und "mancher gewöhnte sich schneller an sie, als an ihr Verschwinden dreißig Jahre später". Da vermißt Katharina Rutschky bei der heute tonangebenden "linken" Gesellschaft die Neugier und Lockerheit, man sei bloß "politisch korrekt und ewig besorgt", und der Satiriker Robert Gernhardt trauert gar den "paradiesischen Zeiten" der frühen 60er nach, wo man die Ressourcen ohne Öko-Skrupel "auf den Kopf hauen" konnte. Die Bilder der (Selbst-)Befreiung zeigten vieles, was heute selbstverständlich ist - und das uralte Paradox: "Überall ist es besser, wo wir nicht sind". DIETER DEAL

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Der Standard, 16.04.2003


Was links war


Eine vierteilige Dokumentation von Andreas Christoph Schmidt geht der Frage nach: "Was war links?" In Bayern sei es nicht weit hergewesen mit der Rebellion, erzählt Christian Semler, Redakteur der Berliner "taz", früher Vorsitzender der maoistischen Kommunistischen Partei Deutschlands. Obwohl die 68er-Bewegung auch vor dem Freistaat nicht Halt machte, habe es doch an politischem Hintergrund gefehlt. "Was war links?", fragt Andreas Christoph Schmidt in seiner Mittwoch beginnenden vierteiligen Dokumentation (21.00, 3sat). Warum München in den 60er-Jahren weniger politisch war als etwa Frankfurt oder Berlin? Wegen des Freizeitangebots, glaubt Semler. Skifahren, Schwimmen im Starnberger See als Draufgabe zur Faschismus auslöschenden Musik. Die Studentenbewegung in München veränderte "das System" mit Musik und Haarschnitt. Deshalb war auch sie links. Man nehme zum Beispiel die auf Papyrus übertragene Geschichte des ägyptischen Zimmermannes, erklärt der Historiker Ernst Nolte "von dem wir wissen, dass er sagte: Ich bin es leid, den ganzen Tag die Bretter umherzuschleppen, der Wesir soll seine Bretter selber tragen." Für Nolte ist der Aufmüpfige ein Linker. Schmidt erzählt die Ideengeschichte der "blauen Bände" (die DDR-Ausgabe von Marx' Schriften war in Blau gehalten) lebendig und kontrovers. Er interviewte Zeitgenossen wie Hans Magnus Enzensberger, Klaus Theweleit, Barbara Sichtermann, Rüdiger Safranski oder Harun Farocki. In Archivaufnahmen kommen Adorno und Horkheimer zu Wort. Klare Definitionen liefert Schmidt nicht. Gut so. (prie)

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Martin Blumenau
fm4, ORF


67, 68...


Wir, als aufgeklärte, humanistisch gebildeten und wache Demokraten, lieben ja die Dokumentationen auf "3sat" und "arte". Und letzte Woche haben mich da die ersten beiden Folgen eines Vierteilers namens "Was war links" erwischt und positiv überrascht. Weil hier eine keineswegs betriebsblinde, sondern höchst wache Bestandaufnahme der 67/68er Geschehnisse (samt Folgen) in Deutschland zu sehen war, die noch dazu die Frage stellte, was diese Dinge (die Rebellion, das Links-Sein an sich) heute bedeuten, hinterlassen haben, bzw. wie die Verklärungs-Mechanismen unser Bild verschleiern. Schön und gut gemacht, mit Zeitzeugen, die tatsächlich etwas zu sagen hatten und nicht nur weinerlichen Personenkult betrieben wie eine Rudi Dutschke-Doku, die da im Umfeld mitschwamm, vorigen Mittwoch und Donnerstag Nun folgen heute und morgen Teil 3 und 4. Und normalerweise stellt sich die Frage der Sinnhaftigkeit der Ankündigung einer halben Reihe. In diesem speziellen Fall aber nicht: denn diese Doku gibt es vollinhaltlich, sogar mit zusätzlichen features zum nachlesen und sich weiterlinken im Netz: waswarlinks.de. Es kann also jedermann/jedefrau die inhaltlich unabhängig voneinander funktionierenden Teile (3: heute 21.00 3sat. 4: Donnerstag 22.20 3sat) anschauen und dann auch auf der waswarlinks.de Homepage nachlesen. Ebenso wie die ersten beiden Teile. Komplett. Schön.

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© Schmidt & Paetzel Fernsehfilme 2003