Ein Film in 4 Teilen von Andreas Christoph Schmidt, produziert von Schmidt & Paetzel Fernsehfilme im Auftrag von SWR und SFB.

Folge 3 - Lärm und Gewalt

Am 4.11.68 stand Rechtsanwalt Horst Mahler in Berlin vor Gericht. Ihm wurde vorgeworfen, nicht nur Anwalt der APO, sondern auch ihr Rädelsführer zu sein.

Nicht den Freispruch für Mahler feierte die APO später als Sieg, wohl aber die Straßenschlacht vor dem Gerichtsgebäude, bei der die Polizei arg den kürzeren zog.

Schlacht am Tegeler Weg
Christian Semler
Christian Semler

"Das war eine Demo..."
"Das war eine Demo, die war übrigens auch nicht militant geplant. Das war eine existentialistische Geschichte, die Leute sind so oft verprügelt worden, ich auch, daß wir mal den Spieß rumgedreht haben. Ich hab dann den Fehler gemacht, und das war wirklich ein Fehler, zu sagen, das sei eine neue Stufe der Militanz. Was ich gemeint habe war, wir lassen uns nicht dauernd verprügeln."
Tegeler Weg
Barbara Sichtermann
Barbara Sichtermann

"Das kam ganz einfach durch die Bullen."
"Ich kann Ihnen jetzt keinen Kalender aufblättern, wo die Gewaltspirale nach oben gegangen ist, aber ich bin ganz sicher, wenn ich mich jetzt in die Studien vertiefen würde, die einzelnen Schritte, das kam von oben. Das kam ganz einfach durch die Bullen.
Die sogenannte Schlacht am Tegeler Weg, wo die Studenten mal Steine geschmissen haben, war schon eine Reaktion auf Knüppeleien und Festnahmen und Überreaktionen von seiten der Polizei. Das weiß ich noch genau, also die Eskalation ging, in einem völlig unangemessenen Maße, von der anderen Seite aus, also von der Staatsgewalt. Heute würde ich schon sagen, ok, natürlich, die mußten das Betreten des Rasens und so weiter verhindern, aber aufgehetzt durch die Bildzeitung, Sie wissen das vielleicht auch alles, war auch die Bevölkerung, gerade hier in Berlin, im geteilten Berlin, geschlossen gegen die Ruhestörer und Rabauken, wie sie nur genannt wurden, und: geht doch rüber ..."

Die Schlacht am Tegeler Weg gehört nicht mehr richtig in die Chronik der Studentenbewegung. Neue Zeiten waren unbemerkt angebrochen. Die Berliner Polizisten trugen zum letzten Mal ihre schwarzen Tschakos. Und zum ersten Mal setzten sie Tränengas ein.

"Tegeler Weg war irgendwie komisch, da hat irgendwas nicht gestimmt, ich weiß nicht was. Tegeler Weg, daß da plötzlich so viele Steine da waren. Da kam ein Lastwagen mit Steinen angefahren, ich weiß ja nicht warum. Wo kam der Lastwagen mit Steinen her, ja?"
"Hast Du den gesehen, den Lastwagen?"
"Ja, klar. Das mußt Du Dir mal vorstellen, ja. Und ich kann mir nicht vorstellen, daß wir die angefahren haben. Also das gab's gar nicht, glaub ich. Das müssen die anderen gemacht haben, unsere Gegner."
Gert Möbius Gert Möbius
"Wo kam der Lastwagen mit Steinen her?"

Aber wer war der Gegner? Die Polizei, dein Feind und Gegner?

Horst Mahler Horst Mahler
"Das waren dann sehr wenige, die dann daraus Konsequenzen gezogen haben."
"Nach der Schlacht am Tegeler Weg gab es ja eine große Versammlung im Auditorium Maximum der TU, da wurden Formen des Guerillakrieges, der Stadtguerilla, diskutiert und da war eine Stimmung, bei neunhundert Anwesenden, für diese Form des Kampfes. Das waren dann sehr wenige, die dann daraus Konsequenzen gezogen haben."

Horst Mahler zog seine Konsequenzen. Er wurde Terrorist, gründete gemeinsam mit anderen die RAF, ließ sich in Jordanien bei der PLO an der Waffe ausbilden, lebte kurz ein wildes Leben im linken, deutschen Untergrund, mit Bankraub und so, und landete dann im Knast. Eine Reise vom Tegeler Weg über Nah-Ost nach Moabit. Die Schlacht am Tegeler Weg war nur ein scheinbarer Sieg der APO. In Wahrheit war die Revolte vorbei.

Semler: "Das war so, als ob es einem zwischen den Händen zerrinnen würde, das war die Situation in den späten 60er Jahren. Wenn man gesagt hätte, ok ist prima, alles verteilt sich, alles wächst, laßt hundert Blumen blühen, ja, dann hätte wir uns keine grauen Haare wachsen lassen brauchen. Aber wir waren eben unter Druck, wir glaubten, das wird eine große revolutionäre Bewegung und jetzt frißt uns die kapitalistische Subkultur auf."

Subkultur frißt revolutionäre Bewegung. Das ist der Standpunkt eines echten intellektuellen Linken.

Die Masse - vom Gefühl bewegt statt vom Intellekt - mochte glauben, Rock, Pop, Minirock und Underground seien Wesensmerkmale von links. Die Kuttenträger jedoch, die Yedi-Ritter der Revolution, durchschauten das alles: Woher kamen z.B. die Drogen? Wem nützten sie?

Die englische Pop-Gruppe Pink Floyd zum erstenmal im deutschen Fernsehen. Wem nützte die Musik von Pink Floyd? Was war sie anderes als Teil des "universellen Verblendungszusammenhangs", von dem Adorno gesprochen hatte? Dieser angebliche Protest. Er war doch nichts weiter als Ornament der kapitalistischen Welt, hielt die Jugend bei der Stange, zog ihr das Geld aus der Tasche und machte sie rammdösig.

Dabei hatte die Pop-Musik ganz ehrlich angefangen, als Blues, Musik der Unterdrückten, ehe sie geradezu zum Instrument der Unterdrückung wurde.
Dialektischer Prozeß.

Rod Stewart 1971. Halb die legitime Stimme der Arbeiterklasse und halb - die roten Stiefel sind vielleicht eine erste Andeutung -, ist er auf dem Weg zum Glitzerstar, der befremdet durch die Panzerscheiben seines Rolls Royce auf seine Fans, seine Kunden blickt. Rod Stewart
Rod Stewart

Auch Christian Semler hatte unterdessen Konsequenzen aus der Schlacht am Tegeler Weg gezogen. Sie lauteten: Mao ernst nehmen. Eine Partei gründen. Die Volksmassen für die Revolution gewinnen. Am besten in Dortmund.

Semler: "Gelebt haben wir mit achthundert Mark netto im Monat als Funktionärsgehalt. Damit kam man hin in den 70er Jahren, wenngleich knapp, und große Ideen, daß wir es mal zu Führern der Arbeiterklasse bringen werden, hatten wir auch nicht. Das sag ich ganz klar, das war so. Dennoch war das alles hochstilisiert und hochinszeniert, was wir machten, das hing einfach damit zusammen, daß wir den verzweifelten Versuch unternahmen, der Tradition der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung uns anzuschließen. Das war das Ding, und ich hab's mal so genannt: Wir wollten mit den Toten sprechen. Wir wollten dort weitermachen, wo sie aufgehört hatten. Und deswegen erschien das so vielen Leuten als Kostümierung. Als Kostümfest eigentlich. Oft wurde es ja auch belächelt, daß so viele Künstler und Theaterleute bei unserem Laden waren. Immendorf zum Beispiel, stimmt ja auch. Das hatte sehr starke inszenatorische Elemente, aber die kamen aus einer richtigen Leidenschaft heraus. Die Leidenschaft bestand darin: Alles noch mal, aber diesmal richtig." KPD-Demo
"Wir wollten mit den Toten sprechen."

Seit Gründung der KPD stand die Reiberei mit der Polizei auf ideologisch sicherer Basis: Breitenwirkung durch die sogenannte Massenaktion.

Wickert: "Ist das nun die neue Taktik Ihrer Partei, daß Sie nun in nächster Zukunft ähnliche Aktionen vorbereiten werden, mit ähnlicher Brutalität, mit ähnlicher Gewalt?"

Hier versucht ARD-Nachwuchs Ulrich Wickert, der KPD, die er für richtig gefährlich hält, beizukommen, indem er die Worte des Vorsitzenden Semler durch Untertitel entlarvt. 1973

Semler: "... und wir werden zu spektakulären Aktionen wie dieser dann greifen, wenn spektakuläre Anlässe es gebieten."
Wickert: "Haben Sie nicht eine romantisch-revolutionäre Idee von der Revolution hier in der Bundesrepublik, die gar nicht funktionieren kann?"
Semler: "Träumer sind meiner Ansicht nach diejenigen, die glauben, mit Strukturreformen die kapitalistische Gesellschaft überwinden zu können. Realisten sind diejenigen, die den Gewaltapparat des Monopolkapitals analysiert haben und die wissen, daß der Weg zum Sozialismus auch in der Bundesrepublik nur über die bewaffnete Auseinandersetzung der Volksmassen (gehen kann.)"

Interview Semler bei Wickert
"...der Weg zum Sozialismus... über die bewaffnete Auseinandersetzung..."
Ulrich Wickert
Semler: "Bei uns gab es auch später, in unseren maoistischen Organisationen, hunderte von Ärzten, Rechtsanwälten, Angehörigen der akademischen Berufe, die alle unter der Prämisse 'dem Volke dienen', so hieß das damals, sagten: Schluß mit den bürgerlichen Privilegien, wir wollen unsere Fähigkeiten in den Dienst der Ausgebeuteten und Unterdrückten stellen, und das war in gewisser Weise der Hauptgrund. Deswegen sind die Leute überhaupt Maoisten geworden. Es gab ja nur ganz wenig Arbeiter, natürlich gab es auch ein paar tausend Arbeiter in den maoistischen Organisationen, aber das ist gewissermaßen fast unerheblich. Das war eine Jugendbewegung, aber der eigentliche Kern ist die große Abfallbewegung von der Bourgeoisie gewesen, unter diesem Gesichtspunkt."

Die hier für das Proletariat demonstrieren, sind selber natürlich keine Proletarier. Bis auf einen vielleicht: S-Bahn-Peter mit seinem Hut.
Aber der, Peter Urbach, war ein Spitzel des Verfassungsschutzes.
Die anderen waren keine Spitzel. Aber auch keine Proletarier.

Demo in Berlin mit Peter Urbach
Katharina Rutschky
Katharina Rutschky

"Dünkel der Rechthaberei"
"Viele bekannte Namen waren ja wirklich, kamen aus bildungsbürgerlichem Hintergrund. Rechtsanwälte, Ärzte waren die Eltern, also an der Uni gab's doch keine Arbeiterkinder, die gab's doch nicht. Die Studentenbewegung war doch kein Arbeiterkinder-Aufstand.
Nun die hatten auch alle diesen Dünkel der Rechthaberei, auch diesen Furor dann, mit diesen ganzen terroristischen und fürchterlich autoritären Sektenbildungen der K-Gruppen, das kann man sich ja nur dadurch erklären, daß die im Grunde 'ne Art Schuldgefühl abgearbeitet haben, jetzt werden wir also die Soldaten der Revolution, wir verzichten auf Kultur und Seife und elegante Kleidung oder alles Konsumgut, sondern wir werden die, sozusagen, Mönche und Nonnen der Revolution."

Gudrun Ensslin zum Beispiel kam aus einem Pfarrhaus. Ihr Papa war ein echter schwäbischer Pastor. Ach, was hat Deutschland nicht seinen Pfarrerssöhnen zu verdanken: Lessing, Schelling, Nietzsche, Hesse, Albert Schweitzer, Georg Lichtenberg. Und in unserer Zeit auch Töchtern. Dienet einander. Oder - mit Maos Worten - dem Volke dienen.
Es zog sie zum Film.
Gudrun Ensslin Gudrun Ensslin
"Ich will etwas getan haben."

Sie machte bei einigen Produktionen der neugegründeten dffb mit, der Westberliner Filmhochschule. Sehr elitärer Verein. Kamen nur die Besten rein. Wer drin war, erhielt ein Stipendium und konnte sich in aller Ruhe auf eine Filmkarriere freuen.
Doch ausgerechnet die paar Handverlesenen, mit ihrer beneidenswerten Gegenwart und ihren berauschenden Zukunftsaussichten, stellten einige der unruhigsten Vertreter der Studentenbewegung. Den späteren Terroristen Holger Meins z.B., den Gudrun Ensslin wohl hier kennenlernte.

Harun Farocki Harun Farocki
"Popstar werden oder Terrorist werden oder Regisseur werden, liegt gar nicht so weit auseinander."
"Man könnte es für einen Aufstand der Privilegierten halten, wie vielleicht die ganze Studentenbewegung."
"Ja, das ist nichts neues, das wirft man auch Bin Laden vor, daß er ein Milliardär ist, das hat's noch nie gegeben, daß die Privilegierten stellvertretend für oder einer Sache annehmen oder sie übernehmen. Das gibt's natürlich in der Geschichte auch, die direkten Hungeraufstände, die führerlosen Rebellionen. Über die wissen wir ziemlich wenig, weil die fehlen, die das niederschreiben, weil keiner dran beteiligt ist. Gucken wir uns die russische Revolution an oder die Französische Revolution, das sind natürlich nicht die Ärmsten und die Schwächsten, die nirgendwo anders eine Chance gehabt hätten, die sie geführt haben.
Popstar werden oder Terrorist werden oder Regisseur werden, das soll jetzt nicht zynisch klingen, liegt gar nicht so weit auseinander."

Ob Gudrun Ensslin Regisseurin werden wollte? Vielleicht. Was zu sagen haben wollte sie auf jeden Fall. Oder dem Volke auf ihre Weise dienen. Im April 68 legt sie mit anderen Feuer in zwei Frankfurter Kaufhäusern. Wirklichkeit statt Film. Radikal sein heißt: nicht zurückschrecken vor den logischen Konsequenzen dessen, was man einmal erkannt zu haben meint.

"Es gibt einen Radikalismus, der Warenhäuser anzündet und das ist nicht so harmlos wie das Werfen von Konfetti oder von rohen Eiern.
Das ist das eine was man radikal nennt, das andere heißt, radikal kommt von radix, Wurzel, und radikal sein heißt, an die Wurzel gehen. Also gerade etwas zu ändern, indem man ursächlich handelt. Indem man die Ursachen studiert und aufsucht, die die Unzufriedenheit und die Melancholie auch und die Langeweile, die in jeder bloß konsumierenden Gesellschaft sich notwendig befindet, die das aufhebt."
Ernst Bloch
Ernst Bloch
Ensslin: "Mir gefallen auch alle Sachen, die man in Kaufhäusern kaufen kann, aber wenn man sie kaufen muß, damit man nicht zu Bewußtsein kommt, dann ist der Preis, den man dafür zahlt zu hoch. Da braucht man dann nicht mehr nur nach Vietnam zu gucken, und sich Elend da anzugucken, da reicht's dann wirklich einen Blick auf unsere Gesellschaft zu werfen, um die Bewußtlosigkeit zu sehen, die ich einfach menschenunwürdig nenne. Ich werde mich niemals damit abfinden, daß man nichts tut.
"Ich will etwas getan haben."

Aus dem Film Brandstifter: "Ich wollte etwas tun"

Klaus Lemkes Film "Brandstifter" entstand sofort nach dem Brandanschlag von Frankfurt. In ihm kommt ein Filmstudent vor, der nicht anders als Holger Meins seine Kamera als Waffe im Klassenkampf benutzen will, und ein junges Mädchen, das keinen Platz in der Gesellschaft findet - Iris Berben in ihrer ersten Rolle.

Die Bombenlegerin - Gudrun Ensslin - wird gespielt von Margarethe von Trotta, später Filmemacherin. Am Ende sitzt sie im Knast, und ihre Freunde langweilen sich. Langeweile, Hauptmerkmal jeder bloß konsumierenden Gesellschaft.

"Nun sag mal was."
"Was denn?"
"Irgendwas."
"Mir fällt nichts ein."
"Trotzdem, sag was."
"Also: Machen Sie was aus Ihrem Leben, gehen Sie ins Gefängnis."


Film: Brandstifter
Nun sag mal was
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© Schmidt & Paetzel Fernsehfilme 2003