... Fortsetzung Folge 3 - Lärm und Gewalt

Die ersten Taten der RAF (Baader-Meinhof-Bande) ließen nicht so sehr an Karl Marx denken, auch nicht an Che Guevara oder die Tupamaros, wohl aber an Hollywood-Banditen.
Drei Banküberfälle an einem Tag.

"Um 9:58 Uhr erfolgte der dritte Banküberfall innerhalb von fünf Minuten auf eine Filiale der Berliner Bank neben dem Rathaus Friedenau in der Rheinstraße. Die Täter waren dunkel gekleidet und mit Maschinenpistolen bewaffnet. Hüte verschiedener Machart, lange Sommermäntel, einen Ölmantel, modern, halblang, olivgrün, und eine Jeansjacke."

Ach stop! Wo wir gerade von Hüten reden!
Hut war ja das Markenzeichen von Peter Urbach, dem Spitzel. S-Bahn-Peter, Verfassungsschutz-Agent. Ich will nicht behaupten, daß er an dem Überfall beteiligt war, aber er hatte einen wichtigen Beitrag zur Radikalisierung der Studentenbewegung geleistet, nämlich ihre Bewaffnung.

Die ersten Pistolen - von ihm geliefert, heißt es. Zeitzünder-Bomben - von ihm gebaut. Im Prozess gegen Horst Mahler verweigerte er die Aussage unter Hinweis auf seine amtsgeheime Tätigkeit. Mahlers Rechtsanwalt Schily:

"Unter anderem hab ich dem Zeugen folgende Fragen gestellt, die er nicht beantwortet hat: Haben Sie in der Zeit seit 1967 Waffen, Handfeuerwaffen, Maschinengewehre, Sprengkörper, Brandbomben angeboten oder geliefert? Haben Sie in der Kommune 1 in der Stephanstraße 60 eine Brandbombe deponiert? Haben Sie in Wohnungen linksorientierter Personen Ende Februar bis Anfang März 1969 etwa zwölf Zeitzünderbomben deponiert? Haben Sie Zeitzünderbomben vom Verfassungsschutz erhalten oder haben Sie selbst solche Bomben hergestellt? Haben Sie den Brandanschlag auf den Pferdestall der Polizei im Grunewald verübt, bei dem das Pferd Zerline verletzt wurde? ..."

Otto Schily über Peter Urbach
Peter Urbach ist irgendwie verschwunden. Angeblich lebt er mit neuer Identität in einem anderen Land.

Jedenfalls: die ersten Taten der RAF erinnerten nicht so sehr an Marx, Engels, Lenin usw., auch nicht an Che Guevara oder die Tupamaros, sondern irgendwie an Hollywood.

Mahler: "Da gab es diesen Film 'Bonny und Clyde', das war so das, was sich Gudrun Ensslin und Andreas Baader als Kultfilm ausgeguckt hatten und haben uns verpflichtet, aus der Illegalität heraus dann noch ins Kino zu gehen und uns diesen Film anzugucken. Merkwürdig. Ganz komische Sache." Bonny und Clyde

Bonnie and Clyde. So sahen sie sich also, Baader und Ensslin?

Und so stellten sie sich ihr Ende vor. Opfer des Schweinesystems.

Ulrike Meinhof Ulrike Meinhof
"Das ist natürlich viel einfacher, wenn man ein Mann ist."
"Privatangelegenheiten sind eminent politisch. Kindererziehung ist unheimlich politisch. Die Beziehungen, die die Menschen untereinander haben sind unheimlich politisch, weil sie etwas darüber aussagen ob Menschen unterdrückt sind oder frei sind, ob sie Gedanken fassen können, oder ob sie keinen Gedanken fassen können, ob sie was tun können oder nichts tun können.
Das ist natürlich viel einfacher, wenn man ein Mann ist. Wenn man so will, ist das die zentrale Unterdrückung der Frau, daß man ihr Privatleben als Privatleben in Gegensatz stellt zu irgendeinem politischen Leben. Wobei man umgekehrt sagen kann, da wo politische Arbeit nicht was zu tun hat mit dem Privatleben, stimmt sie nicht, da ist sie perspektivisch nicht durchzuhalten. Man kann nicht antiautoritäre Politik machen und zu Hause seine Kinder verhaun."

Durch ihre Kolumnen in der "konkret" hatte Ulrike Meinhof einen festen Platz in der linken Szene. Warum gab sie ihn auf? War sie der Meinung, mit Artikeln nichts bewirken zu können? Fand sie es unerträglich, daß ihr Mann, der Herausgeber, die Auflage mit Bildern nackter Mädchen steigerte? Hatte sie ihr Leben in der Hamburger Schickeria satt?

Sie meinte erkannt zu haben, daß der Staat Bundesrepublik im Kern faschistisch sei.

Meinhof: "In dem Augenblick, wo die Demonstranten sich nicht damit genug sein lassen, dem lieben Gott Bescheid gesagt zu haben, dagegen gewesen zu sein, sich nicht mehr damit begnügen, sich ein gutes Gewissen verschafft zu haben, indem sie zwischen den Zeilen wissen lassen, daß sie das Morden in Vietnam auch mißbilligt haben, sondern in dem Augenblick, wo es ihnen mit der Solidarität mit dem vietnamesischen Volk ernst wird, wo es ihnen darum geht, die amerikanische Position überall in der Welt, wo es nur möglich ist, so zu schwächen, daß das vietnamesische Volk davon einen Vorteil hat, dann weiß ich, dann sehe ich wirklich nicht mehr den Unterschied zwischen dem Polizeiterror, den wir in Berlin schon erlebt haben und der uns angedroht wird, und zwischen dem SA-Terror der 30er Jahre."

1969 verließ sie die "konkret", ihren Mann und Hamburg, nicht ohne das Haus an der Elbchaussee umzukrempeln, ins Ehebett zu scheißen und probeweise ein paar Löcher ins Fenster zu schießen.

Heinrich Hannover
Heinrich Hannover

"Wir waren befreundet"
"Wir waren befreundet und auch politisch in vielem einer Meinung. Sie war damals die begabteste, intelligenteste Sprecherin der Linken, würde ich sagen, bis sie eines Tages abtauchte in den Untergrund, und das war der Moment wo sie die meisten ihrer Freunde, ihrer politischen Freunde verloren hat, auch mich.
Sie konnte nicht verstehen, wie einer, der sich als Sozialist verstand, und ich verstehe mich immer noch als Sozialist, in der Frage der revolutionären Gewalt anderer Meinung sein konnte als sie, und ich konnte nicht verstehen, wie eine so intelligente Frau glauben konnte, mit individuellem Terror die Gesellschaft verändern zu können."

Spiegel Nr. 25, 1970. Ulrike Meinhof aus dem Untergrund:
"Wir sagen, natürlich, die Bullen sind Schweine, wir sagen, der Typ in der Uniform ist ein Schwein, das ist kein Mensch, und so haben wir uns mit ihm auseinanderzusetzen. D.h. wir haben nicht mit ihm zu reden, und es ist falsch, überhaupt mit diesen Leuten zu reden, und natürlich kann geschossen werden."

Der Spiegel
Oskar Negt Oskar Negt
"total falsche Einschätzung von gesellschaftlicher Situation"
"Die Leute, die Ulrike Meinhof kannten, ich kannte sie auch persönlich gut, mußten einfach, als sie in den Untergrund ging und solch eine blutige Phrase von sich gegeben hat - 'und natürlich kann geschossen werden' - mit einem Persönlichkeitsbruch rechnen. Ich habe das nie verstanden, wie eine so kluge Frau das machen kann.
Das sind auch Persönlichkeitsbrüche in den Karrieren, diese Kriminalisierung und diese Selbstkriminalisierung, die mit den Ursprungszielen der Protestbewegung überhaupt nichts zu tun hatten, sondern sich orientierten eben an Guerillataktiken und -bewegungen, und eben auf einer total falschen Einschätzung von gesellschaftlicher Situation beruhten. Man glaubte, das wäre so etwas wie latenter Faschismus und man müsse ihn das eigene Gesicht zeigen lassen, damit die Massen aufwachen und gegen ihn kämpfen. Eine absolut, auch von den führenden Sozialwissenschaftlern der Linken der Zeit niemals geteilte Auffassung."

Wie? Die Annahme, der Staat Bundesrepublik sei heimlich faschistisch, war doch gang und gäbe, nicht nur unter Terroristen, sondern in der ganzen Studentenbewegung.

Faschismus, das fanden damals alle, ist die höchste Stufe der kapitalistischen Ausbeutung.

Rabehl, aus Archivmaterial auf einer Demonstration: "Wir werden siegen. Der Kapitalismus führt zum Faschismus. Der Kapitalismus muß weg!"

"Faschismus steckt heute in allen Institutionen drin."
"Sehen Sie einen alleinigen Gegensatz von Sozialismus und Faschismus. Gibt es dazwischen nichts mehr?"
"Ich würde sagen, immer weniger gibt es etwas dazwischen, denn die geschichtliche Entwicklung hat einen Punkt erreicht, wo es kaum noch möglich sein wird, so Zwischenpositionen zu beziehen. Heute muß man entweder die US-Aggression in Vietnam verurteilen oder man muß sich mit ihr identifizieren. Ein Zwischending hilft nur den Henkern."
Rudi Dutschke Rudi Dutschke
"Ein Zwischending hilft nur den Henkern."

Zwischen Sozialismus und Faschismus gibt's nicht mehr viel.
Wer sich nicht für den Sozialismus entscheidet, stellt sich auf die Seite der Henker, also der Faschisten, und das sind die USA. Das Problem mit Dutschke war, daß man seine Worte nicht auf die Goldwaage legen durfte, wenn man nicht zu den Konsequenzen gedrängt werden wollte, die die Terroristen zogen.

"Es fällt tatsächlich aus heutiger Sicht auf, wenn man sich die Demonstrationen um 67, 68 ansieht, daß gegen den Vietnamkrieg so ohne weiteres Napalm mit Zyklon-B gleichgesetzt wird."
"Ja, es gab auch übrigens, erinnere ich mich jetzt, es gab auch auf den Straßen, bei den großen Anti-Vietnamdemonstrationen den Ruf 'USA-SA-SS', gab es auch, ja.
Das waren auch sehr bewußt eingesetzte, propagandistische, agitatorische Tricks, würde ich heute sagen, um den Skandal der aktuellen Politik, den man hier angreifen wollte, im Falle Vietnam, um diesen Skandal propagandistisch hochzuziehen. Das war's schon, ja, aber man muß es auf diesem Hintergrund sehen, das sind propagandistische Manöver, die gleichzeitig stattfanden mit dem sich Orientieren an amerikanischen Kulturmodellen."
Rüdiger Safranski Rüdiger Safranski
"USA-SA-SS"

"Wie stehen Sie zur Gewalt? Ist das für Sie ein taktisches Problem, wie Herbert Marcuse formuliert hat?"
Dutschke: "Für mich ist das ein prinzipielles Problem. Und ich denke, daß in den Metropolen, das heißt in der hochindustriellen Welt, Gewalt in Form des Terrors gegen Menschen absolut unmenschlich und konterrevolutionär ist, und wir das nicht mehr benötigen."

Bernd Rabehl Bernd Rabehl
"Gewalt aus dem Herzen der APO"
"Als dann plötzlich das Attentat auf Dutschke verübt wurde, war klar, die Gewalt läuft mit uns. Wir stecken drin in einem Gewaltverhältnis und wir müssen drauf reagieren, und dann versuchten wir ja Springer zu stürmen, und der mitlaufende Verfassungsschutzagent Urbach hatte Benzinflaschen, Molotowcocktails dabei, und steckte die Springerautos an mit einigen Kumpanen. Das heißt also, die Gewalt lief mit, und ich bin überzeugt, daß die Gewalt aus dem Herzen der APO kommt, und das sind ja nicht gerade, wenn Mahler mitmacht und Meinhof mitmacht und Raspe mitmacht, Meins mitmacht, die kommen ja eigentlich doch aus dem engeren Kreis der Bewegung. Daß wir nicht mitgemacht haben, also Semler, Neitzke, Horlemann, Rabehl, das hängt sicherlich mit unserer persönlichen Feigheit zusammen."

SDS-Konferenz in Frankfurt, September 68. Am Ende der Studentenbewegung. Hier waren sie noch einmal alle. Die, die bald darauf kommunistische Parteien gründeten; die, die langsam zurücksanken in bürgerlichen Schlummer, künftige Staatsmänner, beginnende Radikal-Feministinnen und angehende Terroristen.
Fritz Teufel. Kurzes Zwischenglück zwischen Knast und Knast. Der Terrorismus war eines der Zerfallsprodukte der Studentenrevolte.

SDS-Delegiertenkonferenz
Richard Löwenthal
Richard Löwenthal

"Kult der Gewaltsamkeit, der direkten Aktion"
"Wenn Sie sich daran erinnern, wie diese Bewegung in ihrem breiten Anfang viele Widerstände überrannt hat gegenüber einer überraschten Öffentlichkeit und einer überraschten Staatsgewalt, dann hat sich daraus, in einem zweiten Stadium, eine Art Kult der Gewaltsamkeit, der direkten Aktion herausgebildet. Die Vorstellung, daß man alle erreichen könnte, daß man sehr schnell eine Revolutionierung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse erreichen könnte durch die unmittelbare Gewalt. Diese Erwartung ist dann ziemlich schnell enttäuscht worden, ist zusammengebrochen. Auf den Rausch der sogenannten Massengewalt ist der Katzenjammer gefolgt."

Richard Löwenthal war, gerade weil er ein Linker war, ein linker Professor am linken Otto-Suhr-Institut in Berlin, radikal in seiner Jugend und liberal im Alter, eine bevorzugte Zielscheibe der extremer gewordenen Studentenbewegung. Das war nun ein autoritärer Professorensack.

Löwenthal: "Und in dieser Situation des teilweisen Zerfalls, in der ein Teil, ein größerer Teil, die Konsequenz zog, den Weg der radikalen Reform zu gehen, von der Gewalt abzugehen, hat ein sehr viel kleinerer Teil die umgekehrte Konsequenz gezogen, die Gewalt sozusagen als Beruf, als terroristische Gewalt der Einzelnen zu begreifen."

"Wenn man wirklich zur Waffe greift und es wirklich ernst wird, geht dann nicht irgendein rotes Licht in einem an, ist da nicht irgendwas, das sagt: 'Hier ist der Rubikon, den Du nicht überschreiten darfst'?"
Mahler: "Nein, eben nicht. Das war ja die Überlegung, was geht eigentlich in der Welt vor, und das war ja weltweit die Front, die bewaffnete Front, gegen den US-Imperialismus und dann war die Frage: Was machen wir? Die Nutznießer dieses Systems. Uns ging's ja gut, in Deutschland hatten wir ja ein Wirtschaftswunder. Deutschland war so gesehen wirtschaftlich der Gewinner des Zweiten Weltkrieges, politisch gesehen der Verlierer, ganz klar. Und dann hieß die Frage: Bringen wir uns ein in diesen Kampf und verzichten wir auf unsere Privilegien, und was heißt das dann? Da muß man natürlich mit seinen moralischen Bedenken fertig werden, denn ein geschichtlicher Prozeß ist nicht eine moralische Veranstaltung. Da ist die Moral nicht am Platze. Da war Lenin, da war Brecht für uns tonangebend, die gesagt haben, also moralisch ist das, was der Revolution nützt, und amoralisch das, was ihr schadet. Und da ist die Frage: Was muß getan werden? Und da gab's bei Brecht die Parabel 'Die Maßnahme', wo es dann darum geht einen Genossen zu beseitigen, den man für unsicher hielt, der die Gruppe belastete, da muß man dann eben auch diese Entschlossenheit aufbringen ihn zu beseitigen, obwohl er eigentlich der Nächste ist, den man hat, der Bruder, und das ist eben notwendig, um diesen Kampf führen zu können, so die Einstellung."
Horst Mahler Horst Mahler
"ein geschichtlicher Prozeß ist nicht eine moralische Veranstaltung"

Die Maßnahme
------------
Was ist eigentlich ein Mensch?
Weiß ich was ein Mensch ist?
Weiß ich wer das weiß?
Ich weiß nicht was ein Mensch ist.
Ich kenne nur seinen Preis.

... Weiter im Text

| zurück zum Anfang   |Home
2/3

© Schmidt & Paetzel Fernsehfilme 2003