Ein Film in 4 Teilen von Andreas Christoph Schmidt, produziert von Schmidt & Paetzel Fernsehfilme im Auftrag von SWR und SFB.

Folge 4 - Kunst und Klassenkampf

"Sonette find ich so was von beschissen,
so eng, rigide, irgendwie nicht gut;
es macht mich ehrlich richtig krank zu wissen,
daß wer Sonette schreibt. Daß wer den Mut

hat, heute noch so'n dumpfen Scheiß zu baun;
allein der Fakt, daß so ein Typ das tut,
kann mir in echt den ganzen Tag versauen.
Ich hab da eine Sperre. Und die Wut

darüber, daß so'n abgefuckter Kacker
mich mittels seiner Wichsereien blockiert,
schafft in mir Aggressionen auf den Macker.

Ich tick nicht, was das Arschloch motiviert.
Ich tick es echt nicht. Und wills echt nicht wissen:
Ich find Sonette unheimlich beschissen."
Robert Gernhardt
Robert Gernhardt

"immer strenger und immer blutleerer"

"War Reimen rechts?"
Gernhardt: "Nein, das glaub ich nicht."
"Ist es nicht so, daß die Befreiung von der gebundenen Sprache, also noch schlimmer als Reimen ist ja vielleicht Versmaß... noch rechter als der Reim, kann wohl nur das Versmaß sein!"
"Ja das ist eine Geschichte, da bin ich einfach Partei, also ich schreib Gedichte und ich bin für Ordnungssysteme beim Gedichte schreiben und zwar einfach deswegen, weil ich dann mehr Spaß habe.
Wenn wir also zwei Dichter nehmen, der eine eher rechts einzuordnen, er hat sich auch mal zu den Nazis bekannt, der Benn, und der andere links einzuordnen, zwei deutsche Dichter, die mal reimlos, mal gereimt gedichtet haben, bis an ihr Lebensende, ich glaube der Brecht dann immer weniger. Und Brecht hat sich im Gegensatz zu Benn Gedanken darüber gemacht und hat dann auch geschrieben, in einem seiner Gedichte, im dänischen Exil, jetzt ein Reim käme mir vor wie Übermut, oder wie nicht zulässig, jetzt ein Reim in meinen Gedichten.

Schlechte Zeit für Lyrik
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Die grünen Boote und die lustigen Segel des Sundes
Sehe ich nicht. Von allem
Sehe ich nur der Fischer rissiges Garnnetz.
...
In meinem Lied ein Reim
Käme mir fast vor wie Übermut
Bertolt Brecht, 1939 in Dänemark

Gernhardt: "Dennoch hat er gewußt, daß das Gedicht organisiert werden muß und seine Gedichte sind ja organisiert, die Brechtschen Gedichte, die reimlosen sind ja nun nicht entfesselte Wortkaskaden, sondern sehr, sehr genau gesetzt und deswegen auch gut zu memorieren, diese Sätze sind ja auch nicht umsonst so berühmt geworden: 'Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume schon fast ein Verbrechen ist, weil es Schweigen einschließt über so viele Untaten' oder so ähnlich."

An die Nachgeborenen
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Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
Der dort ruhig über die Straße geht
Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde
Die in Not sind?
Bertolt Brecht, Svendborger Gedichte, 1938


Svendborg
Svendborg
"Das Gebundene, dieses Gebundene ist doch das was den Linken nicht behagte, linke Literatur ist doch eher Dokumentarisches, Tatsächliches, wirklich Gesprochenes. Ordnungsprinzipien und Links, paßt denn das zusammen?"
Gernhardt: "Ja, diese Dokumentarstücke sind ja auch in sich wieder gebunden gewesen, also nehmen Sie mal Peter Weiss 'Ermittlung' beispielsweise. Das ist zwar alles aus Zeitungsartikeln zusammengesetzt, aber doch in einen stringenten Zusammenhang gebracht."

Die Ermittlung
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"Ich kam in eine Baracke, die war voll mit Leichen, da sah ich, daß sich etwas rührte zwischen den Toten. Es war ein junges Mädchen."

In seinem Stück "Die Ermittlung", das 1965 an 15 Bühnen in Ost- und Westdeutschland gleichzeitig uraufgeführt wurde, verzichtet Peter Weiss auf eigene Texte. Was auf der Bühne gesprochen wurde, war auch im Auschwitzprozeß in Frankfurt gesprochen worden.

Dokumentarisches Theater, das nicht Kunst sein will. Als sei Kunst dem Thema nicht angemessen, oder als käme man mit Kunst der Wirklichkeit nicht bei.

Dabei hatte Peter Weiss eigentlich Dantes "Göttliche Komödie" neu schreiben wollen. Erster Teil, "Die Hölle". Der Frankfurter Auschwitz-Prozess kam ihm grade recht. Er war nicht Ursache, sondern Anlaß für "Die Ermittlung".

Die Ermittlung in Stuttgart
Peter Weiss
Peter Weiss
"Ich hab mich ganz genau an die Aussagen gehalten, wie sie protokolliert wurden, aber ich habe nichts hinzugedichtet. Es ist also nicht ein Kunstwerk, was nun Dichtung ist, wie man so schön sagt, sondern es ist ein Wirklichkeitsmaterial, das komponiert worden ist nach ganz strengen Kompositionsprinzipien."

Gernhardt: "Als der Peter Weiss noch auf dieser surrealistischen, wie auch immer, sagen wir mehr artistisch gearteten Schiene war, noch nicht sich so als links verstand, da hat er seinen großen Erfolg mit dem 'Marat-Sade' gehabt und dann wurde er immer rigider, nicht, die Stücke wurden immer unsinnlicher und, 'Der lusitanische Popanz' und was danach kam, 'Viet Nam Diskurs', immer mehr Informationen und immer weniger Sinnlichkeit, immer strenger und immer blutleerer dann auch. Und so sehe ich also nicht einen Zusammenhang zwischen linken Entfesselungsphantasien und auch einer entfesselten Kunst."

"Diskurs über die Vorgeschichte und den Verlauf des lang andauernden Befreiungskrieges in Viet Nam als Beispiel für die Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes der Unterdrückten gegen die Unterdrücker sowie die Versuche der Vereinigten Staaten von Amerika die Grundlage der Revolution zu vernichten" (Viet Nam Diskurs)
Stück von Peter Weiss, 1968

Nein, das ist nicht die Bühnenfassung der Raumpatrouille Orion, sondern Peter Weiss' entschiedene Stellungnahme im Vietnam-Krieg.
Schwarz die Guten, Weiß die Bösen.
Text diesmal vom Autor selbst, im Mund des Klassenfeinds gelegentlich sogar gereimt, aber Kunst sei auch dies nicht, sondern Klassenkampf.

Viet Nam Diskurs
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"Man braucht nur das Fenster zu öffnen, schon kommt Unruhe und Revolution hereingeflogen."
"Umringt die Dörfer!"
"Durchsucht die Häuser!"
"Nehmt Saboteure und Agenten fest!"
"Kaum haben wir ein Exempel statuiert und ein paar Rädelsführer liquidiert, kommt die Bevölkerung anmarschiert mit den Toten und protestiert."
"Bringt sie aus den Häusern!"
"Treibt sie aus den Dörfer!"
"Brennt die Häuser nieder!"

"Bereitet Euch vor auf das Schlimmste."
"Dieser mächtige Feind tritt an die Stelle aller früheren Unterdrücker. Seht diesen Feind. So lange er herrscht mit der riesigen Macht seines Reichtums wird nichts sich verändern. Wir zeigten den Anfang. Der Kampf geht weiter."

Viet Nam Diskurs
Studenten stürmen die Bühne nach der Premiere. Sie haben nichts gegen das Stück, wohl aber gegen das Gehäuse, in dem es stattfindet. Das bürgerliche Theater.

Weiss: "Ich möchte den Genossen, die die Vorführung dieses politische Stück in einem bürgerlichen Theater kritisieren und sagen: Ein politisches Stück soll in einem bürgerlichen Theater nicht aufgeführt werden, nur einen kleinen Rat geben, so schnell wie möglich ein aktivistisches Theater zu gründen und auf die Straßen zu gehen, auf die Plätze zu gehen und dort politische Stücke zu spielen."
"Wann werden Sie nicht nur Stücke schreiben, sondern auch mit der Waffe für die Dritte Welt kämpfen?"
"Ich finde ein politisches Stück ist eine Waffe in dem Kampf heute und, wie gesagt, das ist eine andere Waffe, und es gibt sehr viele verschiedene Waffen im heutigen Kampf.
Die Bühne ist nur ein Teil der großen politischen Front, von der Bühne allein können keine durchgreifenden politischen Änderungen erzielt werden, aber sie spielt eine wichtige Rolle in der Politisierung der Meinungsbildung.
Für uns ist politisches Theater nicht Kunst, sondern es ist eine neue Form des Ausdrucks, es ist engagiertes Theater, das direkt Stellung nimmt zu den Ereignissen unserer Zeit."
Das bürgerliche Theater ist tot

Wir werden schon noch handeln
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"Ich stehe unter dem Vordach einer totschicken Konditorei und strecke meine Hand hinaus, in den Regen, und geniere mich ein bißchen. Weil doch anderen Napalm auf den Kopf fällt. Die verbrennen, verrecken, jetzt. Gut gut, wir sind Schauspieler, erst abends dran, wenn die Nachricht schon verdaut ist. Wir stehen in luftdichten, wasserdichten, zeitdichten und sehr edlen Stücken herum. Fürwahr, ich weiß nicht, was mich traurig macht, ich bin es satt, ihr sagt, das seid ihr auch, doch wie ich drankam, wie mir's angeweht, von was für Stoff es ist, woraus erzeugt, das soll ich erst erfahren! Oh heiliger William, wenn Du jetzt lebtest, dann wüßtest Du's, Dich machen wir heute abend, jeden Abend zum Komplizen. Du dienst wie kein anderer zur Ablenkung, denn Du bist prima von Wort zu Wort zu Wort zu Wort. Könige, Regierende sind gern Verbrecher, Du zeigst es. Aber Dein Finger ist vergoldet, er scheint zu schön, er zeigt nicht auf uns und unsere Herren..."


Antistück Helmut Griem im "Antistück"
Auch hier, bei Martin Walsers "Antistück" in Berlin, Diskussion. 68 wurde überall diskutiert. Ein kleiner Student im Pullover gegen lauter bedeutende Herren.

Diskussion nach 'Antistück' Diskussion nach "Antistück" "Ich möchte nämlich folgende These aufstellen: daß nämlich innerhalb des Theaters heute kein Theater mehr möglich ist, sondern daß das eigentliche Theater, das sie heute in Westberlin schreiben können, daß sie das eigentliche Theater, das heute möglich wäre nämlich erst da machen könne, wo sie ein Springertribunal machen. Da findet das eigentliche Theater unserer Zeit statt."
Walser: "Wenn ich eine Konsequenz daraus ziehe, dann müßte man ja die schönen großen Schuppen alle schließen."
"Ja, das ist ja richtig."
Walser: "Da sagen Sie ja, aber das sind Milliarden Sozialprodukt, die wir da verbaut haben und die wir doch, bevor wir sie schließen, verbrennen, oder was immer Sie damit machen wollen, würde ich sagen, gut, Musik, Beatles, in Ordnung. Schließen wir das Repertoiretheater und machen auf der Bühne irgendetwas, da bin ich sofort einverstanden."
"Nein, nicht innerhalb der Bühne. Innerhalb der Bühne ist nichts mehr möglich."
Walser: "Auf der Bühne ist nichts mehr möglich?"
"Nein."

"Ich habe in den Jahren 65, 66 eine komische Erfahrung gemacht. Ich war in diesen beiden Jahren am Schreiben. Ich habe einen Roman geschrieben, jeden Tag, von morgens bis abends und ich habe in dieser Zeit natürlich jeden Tag in den Zeitungen gelesen, was in Vietnam passierte. Und das war sehr unbefriedigend, immer an meiner Arbeit, geradezu hermetisch beschäftigt zu sein, diese Arbeit hatte mit Vietnam und mit diesen scheußlichen Erfahrungen nichts zu tun und ich merkte, daß das eigentlich unsinnig ist." Martin Walser
Martin Walser

"Antistück": "Könnten die sich denn nicht hinstellen, in ihren, unserem Parlament und sagen: 'Wir verurteilen diesen amerikanischen Krieg'? Das wär' doch was, ein Lebenszeichen. Solange sie das nicht geben, sind sie für mich gestorben. Ich bin nun mal regierungsfromm, ich fühle mich vertreten von denen. Darum möchte ich von denen hören, dieses Nein, zum Mord. Solange die Ja sagen hab ich ja gesagt."

Martin Walser Martin Walser (heute)
"es hat alles überhaupt nichts gebracht"
"Das ist formal alles überhaupt traditionell, also wenn Sie das zum Beispiel Adorno vorgelegt hätten, er hat sicher da noch gelebt, Adorno, der zum Beispiel gesagt hat, Brecht interessiert ihn kaum, weil das ist so, das beißt heute keinen mehr, revolutionär ist für ihn Beckett. 'Endspiel' ist für ihn appellierender als 'Der gute Mensch von Sezuan'. Das ist die andere Denkart. Ja, eben, Beckett, gegenstandslos, das reine Dasein, sozusagen unanwendbar, und auf der andern Seite ein immer anwendbarer Brecht. Heute sag ich, ich hätte weder eine Rede, noch einen Aufsatz, noch Theater schreiben müssen, weil es hat alles überhaupt nichts gebracht. Beckett hat zwar auch nichts gebracht, wir haben diesen Krieg unterstützt, bis er ausgeblutet war. Um nichts anderes geht es mir in diesen sechziger Jahren."

Walser (Archiv): "Ich glaube, daß die Direktheit der politischen Aktion, Protestaktion, eine direkte Entsprechung haben muß in der literarischen Arbeit, das heißt, so wenig Fiktion in einer politischen Versammlung nötig und brauchbar ist, so wenig ist eigentlich auch in der Literatur nötig und brauchbar, es ist nur eine fast schon erstorbene und nur noch verfälschende Tradition, die uns dazu zwingt, immer noch diesen Fiktionen nachzuhängen."

Zusammengefasst: die amerikanischen Bomben auf Vietnam haben als Kollateralschaden sozusagen die schöne Literatur in Deutschland mit weggehauen.
Wie, wozu und worüber soll denn auch ein deutscher Schriftsteller schreiben, wenn draußen ein solcher Krieg tobt.

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© Schmidt & Paetzel Fernsehfilme 2003