... Fortsetzung Folge 4 - Kunst und Klassenkampf

"Nun gab es ja diese Literatur, die sich um die Arbeiter kümmerte, es gab ja die Literatur der Arbeitswelt."
Safranski: "Ja, und diese Literatur der Arbeitswelt, die man dann damals beförderte, ich war damals auch ganz aktiv dabei, hab dann auch mit Freunden zusammen Romane aus der proletarischen Bewegung der zwanziger Jahre veröffentlicht, wieder ausgegraben. Aber das sind alles furchtbar schlechte, sind furchtbar schlechte Werke. Peinlich schlecht! Kulturell taugt das gar nichts."

Acht Stunden sind kein Tag
--------------------------
"Kummer? Ob Du Kummer hast?"
"Hast Du Magenschmerzen?"
"Nee Franz, ganz klar, ist was anderes dahinter, ganz was anderes."
"Hat er ne neue?"
"Hast Du den Blick gesehen?"
"Bin ich blöd?"
"Den hat's erwischt."
...
"Mit so einer Arbeit, die überhaupt nichts zu tun hat mit einem. Die nur für andere interessant ist, daß Du sie machst. Für so'ne Arbeit verdient einer wie wir einfach zu wenig. Klar muß die gemacht werden, seh ich schon auch ein, aber..."
"Das klingt aber ganz schön links, was Du da sagtst, wo hast'n das gelernt?"
"Ich denk auch manchmal."
8 Stunden sind kein Tag

Mit Fassbinders "Acht Stunden sind kein Tag" kam der Klassenkampf ins Erste. Anleitung zum Widerstand gegen Unternehmerwillkür im Betrieb.

"...was wollen wir von der Betriebsleitung? Daß uns die Zulage weiter gezahlt wird."
"Solln wir's mit Beten versuchen?"
"Weiter, wir wollen nicht nur was von denen, sondern die wollen auch was von uns. Dringend sogar, die Vorrichtung nämlich."
"Du meinst..."
"Ich meine ... da sitzen wir nämlich am längeren Hebel."
"Mensch, Mann, ich glaub ich verstehe. Seid Ihr dafür?"
"Ja."

Filmfestival in Knokke, Ende 67.
Hier trafen sich andere Linke. "Die andere Denkart".

Revolutionäre Inhalte wurden mit revolutionärer Form gleichgesetzt. Vielleicht auch verwechselt.

Jedenfalls waren neue Inhalte ohne eine neue Form nicht denkbar. Vlado Kristl und sein Film "Der Brief".

Tumult gab's auch - wegen des Vietnam-Kriegs.

Wenn das linke Filmkunst war, was war dann Faßbinder? Auch links?

Filmfestival in Knokke 67
Harun Farocki
Harun Farocki

"War das System nicht auf diese Revolte aus?"
"Der Fassbinder, den ich zu Lebzeiten ganz furchtbar fand, mich furchtbar störte, mit seinem Verfahren, weil er ja auch so unprogrammatisch war und so prinzipienlos, weil er ja nicht Avantgarde, sondern zurück zum scheinfunktionierenden Kino trieb, das er fast für sich selber wiedererfand. Heute würde ich auch sagen, daß das im Sinne Deiner Frage ein linker Filmemacher gewesen ist."
"Also 'Acht Stunden sind kein Tag' ist für mich Literatur der Arbeitswelt im Fernsehen."
(Lacht) "Das ist furchtbarer Scheiß. Aber wahrscheinlich hast Du trotzdem recht, ich hab das neulich mal gesehen. Wenn die Arbeiter sich immer so zunicken, wenn die Hanna Schygulla dem John da so zunickt, und Kopf hoch, wir schaffen das schon, unglaublich, als ob Deutschland 1941 in einer Bombennacht überleben müßte. Es ist ja wirklich die gleiche Figur, des Kopf hoch, wir schaffen das schon! Und wir kleinen Leute sind gar nicht so dumm. Das ist ja eigentlich ganz entsetzlich, und vor allen Dingen die Lieblosigkeit seiner Inszenierung, wo er immer so an der Maschine steht und sagt: Ey hör mal hast Du eigentlich... Das ist ja unglaublich, dieser Vorwand, zwischen Boulevardtheater und Industrie hin und herzuschwanken. Gut, vielleicht ist das trotzdem ein ganz großartiger Film. Ich hab damit oft genug meine analytischen Niederlagen erlebt."

Die Worte des Vorsitzenden
--------------------------
"Studiert die Worte des Vorsitzenden Mao Tsetung. Hört auf seine Worte und handelt nach seinen Weisungen. Mao Tsetung ist der größte lebende Marxist-Leninist. Mao Tsetung hat den Marxismus-Leninismus auf eine völlig neue Stufe gehoben. Wir müssen seine Worte erneut auf eine völlig neue Stufe heben. Wir müssen sie in neue Zusammenhänge stellen. Wir müssen sie nach den historischen Erfahrungen ergänzen. Wir müssen sie kühn umwandeln. In unseren Händen müssen sie Waffen werden. Die den Feind überraschend treffen."

Die Worte des Vorsitzenden
Farocki: "Als der Film raus kam, also 68, konnte man den in Audimaxen zeigen, und dann jubelten die Leute. Die fanden das irgendwie toll, weil das wie so ein Werbespot für die Bewegung war oder wie ein Jingle im Fernsehen oder so. Dann, Anfang der 70er Jahre, nur ein, zwei Jahre später, als das mit dem Maoismus vom metaphorischen ins Ernste geglitten war oder ins wörtliche geglitten war, und die alle ihre Parteichen hatten, da herrschte so eine bittere Miene, und die fanden das unangemessen und ironisch, vor allen Dingen setzte sich der sozialistische Realismus wieder durch. Also, Filme mußten Massen zeigen, graue Menschenmengen, durften nicht irgendwie so'ne Abstraktion haben."
"Es gibt Leute, die sagen, Kino war überhaupt links. Kino, das war dunkel, das war Händchenhalten, war Gefühle frei raus und das beinhaltete schon irgendwie die Revolte."
"Revolte ja, das ist richtig. Aber das ist natürlich irgendwie eine merkwürdige Verdrehung eingetreten. Als ich zur Schule ging, war das noch so, daß auch von Lehrerseite die traditionellen Bildungswerte, nicht besonders verbreitet, aber doch hochgehalten, galten, und Kino war irgend 'ne Subversion und dann auch noch ein anspruchsvoller Film, wie Resnais oder Cocteau oder was weiß ich, das war irgendwie schon was ganz Tolles. Aber mittlerweile ist ja die gesamte Popkultur auf Schulschwänzer-Konsumption aus. Das Kulturmodell ist ja der Schulschwänzer, der sagt: Machen wir es uns nicht so schwer, es muß ja unserer Unterhaltung dienen, ach ist das anstrengend, einen Text zu lesen. Ist dieser Widerstand gegen das Bildungsgut, ist das irgendwas Revolutionäres? Hat diese Revolte irgendeinen Bestand? War das System nicht auf diese Revolte aus?"


"Ich hab jede Menge Zeit, ich hab ein Wecker, der nicht richtig tickt."
Ton Steine Scherben, 1976

War die Revolte eine Revolte von Schulschwänzern?

Die hier jedenfalls taten erst gar nicht so, als hätten sie alles gelesen.
Und sie hatten auch gar keinen Proust, den sie hätten beiseite legen können.
Überhaupt wurde gar nicht so viel gelesen. Darum glaubte man auch gerne, die "Bottroper Protokolle" seien Literatur.

Ton, Steine, Scherben
Runge: "Ich habe fast nichts gelesen."
Gernhardt: "Ich habe das Kommunistische Manifest gelesen."

Literatur der Arbeitswelt. Ist doch untergegangen, die Arbeitswelt. Und mit ihr die Arbeiterklasse. Roboter bauen Computer, Computer bauen Roboter.
Der Mensch ist frei.
Schluß und aus.

"Wenn man sprechen will, was ist eigentlich mit der Arbeiterklasse geworden, dann muß man darüber sprechen, was ist eigentlich mit der Arbeit geworden. Was ist aus der Arbeit geworden? Man könnte es vereinfacht, sozusagen populärmarxistisch sagen, im Anschluß an einen Satz unserer Klassiker: Die Handmühle, haben die mal gesagt, hat eine Gesellschaft von Baronen erzeugt. Und die Dampfmühle hat eine Gesellschaft von Schlotbaronen, von Industriekapitänen erzeugt. Welche Gesellschaft erzeugt denn nun der Computer? Jedenfalls er hat alles das was bisher genau als Arbeit, Arbeiterklasse, Produktionstätigkeit und so weiter gekannt war, dies hat er verändert, unwiderruflich.
Heißt das denn nun eigentlich, daß es keine Arbeiterklasse mehr gibt? Das kommt darauf an, wie wir den Ausdruck verwenden. Wenn wir als Wissenschaftler sprechen, ist schon die Frage unsinnig. Die Frage ist töricht. Solange es abhängige Arbeit gibt, gibt es die Arbeiterklasse, nichts anderes sagt doch dieser Begriff. Also fragen wir doch mal: Gibt es heute noch abhängige Arbeit? Und die Antwort ist interessant. Es gab in der Weltgeschichte noch niemals so viele Lohnarbeiterinnen und Lohnarbeiter auf der Oberfläche dieses Globus, wie exakt jetzt."
Wolfgang F. Haug
Wolfgang F. Haug

"Welche Gesellschaft erzeugt der Computer?"

Oskar Negt
Oskar Negt

"räuberischer Abbau"
"Zum ersten Mal funktioniert der Kapitalismus gleichsam genau so, wie Marx das in seinem Kapital beschrieben hat, ohne alle Schutzschichten. Darin liegt nun ein großes Problem dieser Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte, das der Abbau des Sozialstaates, oder ich will es anders formulieren, der Sozialstaat, die soziale Marktwirtschaft, wie immer man das bezeichnen muß, ist auch ein Kampfresultat gewesen, der Nachkriegszeit, gegenüber der Abgrenzungsrealität des Kommunismus. Man wollte freier und gerechter sein. Seit dem diese Abgrenzungsrealität zerbrochen ist beginnt ein räuberischer Abbau des Sozialstaates."

Ein Trickfilm aus der Zeit, als der Sozialstaat noch aufgebaut wurde.
Heile Welt 1956. Alle hatten Arbeit, alle hatten Zukunft.
Bescheidenes HB-Männchen-Glück.

Trickfilm zur 5-Tage-Woche
Wolfgang Fritz Haug
"Ja, was soll denn Klassenkampf sein, wenn nicht das?"
Haug: "Das sozialdemokratische Projekt, der sogenannte Reformismus, beinhaltete tatsächlich die Humanisierung des Kapitalismus. Ein Kapitalismus mit menschlichem Antlitz, das ist sozusagen das sozialdemokratische Projekt, und es hat seine große Zeit gehabt, vor allem in Schweden, aber auch in Deutschland. Der sogenannte Rheinische Kapitalismus, das war ein Kapitalismus mit doch humanisierten Zügen. Das Problem ist nur, daß der Rheinische Kapitalismus und erst recht das schwedische Volksheim, die Volksheimgesellschaft, an derselben geschichtlichen Schwelle, an der die Sowjetunion zerbrochen ist, gescheitert sind, oder sagen wir so, nicht mehr funktionieren. Das ist genau das, was Globalisierung genannt wird. Sehr oberflächlich übrigens. Mit der Globalisierung ist das schwedische Volksheim nicht vereinbar. Die Globalisierung zwingt überall die Grenzen auf, und damit zerstört sie nationale Solidarkompromisse. Sie macht sie einfach inkompatibel. Ein Land, das nach wie vor einen hohen sozialen Standard aufrecht erhalten will, wird auf dem Weltmarkt konkurrenzunfähig. So daß dieses derzeitige Regime der Weltmarktöffnung, notfalls mit Zwang nachgeholfen, diesem sozialdemokratischem Weg ein Ende bereitet. Wir wissen nicht, was die Zukunft parat hat, im Moment müssen wir das feststellen. Wenn Gorbatschow 1989 sagte: was in Schweden herrscht ist bereits Sozialismus, das wollen wir. Dann hat er es in dem Moment noch betrachtet, als es schon im Untergang war."

Negt: "Ich war in Sao Paulo und habe festgestellt, daß in den letzten 10 Jahren, sich die Armutsbevölkerung, die Favelas dort verdoppelt haben, aber auch die Reichtumsregionen zugenommen haben, aber so, daß in Sao Paulo zum Beispiel jetzt ein Taxiunternehmen aufgebaut wurde mit Hubschraubern. Das heißt also, die Leute, das Management, geht nicht mehr auf die Straße, sondern läßt sich durch Hubschrauber an ihre Arbeitsplätze fahren - in zehn Jahren der Globalisierung, der Öffnung der Märkte." Sweatshop Sweatshop

Haug: "Es gibt heute, vielleicht noch, kein neues Denken, welches aus der verstreuten Form, in der die abhängig Arbeitenden auf diesem Globus vorkommen unter dem Zeichen der Globalisierung, wieder zusammenfaßt, zum Beispiel zu einer Interessenvertretung, oder zu einer Kraft, die in der Lage ist, eine politische Perspektive zu schaffen. Und sei es nur eine Perspektive, wie sie in den neuen sozialen Kämpfen, vom Typ Seattle an die Wand gemalt worden ist. Was waren das eigentlich für Kämpfe? Waren das nun Klassenkämpfe oder nicht? Nochmal, worum ging es bei diesen Kämpfen? Es war ein buntes Spektrum von Arbeitsloseninitiativen bis Dritte-Welt-Solidaritätsgruppen, ökologische Gruppen, dann auch die traditionellen Gewerkschaften, und ihre Forderungen bezogen sich allesamt auf globale Produktionsverhältnisse. Und sie polemisierten gegen die Mächtigen dieser Welt, allen voran gegen die großen Banken, gegen das Weltfinanzsystem, und sie forderten soziale Kriterien durchzusetzen. Ja, was soll denn Klassenkampf sein, wenn nicht das?"
Globalisierungsgegner
Sind die Globalisierungsgegner wirklich Sprachrohr einer weltweiten Arbeiterklasse? Gibt es die überhaupt?

Warum sollten die Arbeiterinnen in den Freihandelszonen, die unsere T-Shirts nähen, -irgendwo in der Dritten Welt - Solidarität mit uns empfinden? Mit uns in der Festung der Reichen? Von deren Mauern wir herabrufen: "Wir meinen es gut mit euch!"

Gernhardt: "Ich hab' das Kommunistische Manifest gelesen. Das finde ich nach wie vor einen der größten Texte der Weltliteratur, das ist ein prophetischer Text und ein witziger Text, ein satirischer Text, der wirklich alle Schleier runterreißt von den Interessen der herrschenden Klasse, und er macht einem wieder richtig Laune links zu sein." Kommunistisches Manifest

Haug: "Wie wollen wir denn diesen Kampf nennen? Und glaubt irgend jemand, daß dieser Kampf jetzt schon zu Ende ist? Das war erst die Vorschau, das war erst die Ankündigung."

Das Kommunistische Manifest:
Ein Gespenst geht um, NICHT in Europa.


| zurück zum Anfang   |Home
3/3

© Schmidt & Paetzel Fernsehfilme 2003